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Lieber nicht Geben?

erschienen in: Magazin Die Stiftung, Ausgabe 6 / 2017

Deutsche erben viel: Jedes Jahr werden derzeit gemäß einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung um die 400 Milliarden Euro von der älteren Generation an die jüngere transferiert. In der Folge gibt es immer mehr Wohlhabende, die sich ihren Wohlstand nicht selbst erarbeitet haben – das Stichwort „Erbengesellschaft“ füllt sich mehr und mehr mit Inhalt.

Viele dieser jüngeren Wohlhabenden sind Menschen mit ausgezeichneter Bildung. Sie sehen, wie sich die politischen Lager polarisieren, wie der gesellschaftliche Zusammenhalt schwindet und die Zustimmung für die europäische Einheit an vielen Stellen bröckelt. Sie verfolgen diese Vorgänge und leiden unter ihnen. Den meisten dieser Erben dürfte auch klar sein, dass der dritte Sektor, weitgehend unabhängig von Staat und Wirtschaft, in einer exzellenten Position ist, um hier gegenzusteuern.

Man könnte erwarten, dass diese Menschen sich geradezu darum reißen, mit ihrem Vermögen die Arbeit von Stiftungen und anderen gemeinnützigen Akteuren zu unterstützen. Tatsächlich herrscht aber unter den jungen Erben in dieser Hinsicht eine große Zurückhaltung. Warum? Und was kann man dagegen tun?

Outing-Scheu und hohe Transaktionskosten
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Wer gibt, der „outet“ sich fast immer als vermögend. Er  weiß aber vielleicht, dass die Menschen, die ihm am liebsten und am nächsten sind, alles andere als reich sind. Damit setzt er das Gefühl der Gleichheit und Verbundenheit innerhalb seines privaten Umfeldes aufs Spiel.

Mit seinen Freunden, seiner in-group in der gleichen Lage zu sein, kann für den potentiell Gebenden ein Gut darstellen, das er um keinen Preis verlieren möchte. Kaum etwas konstituiert uns als Person so sehr wie unsere Freundschaften. Und darum wird er möglicherweise auf das Geben verzichten, das ihm doch andererseits, rein materiell gesehen, so leicht fiele.

Dazu kommt eine Vielzahl anderer, kleinerer „Gebehemmnisse“: Es wird Rücksicht genommen auf die ältere Generation und ihre vielleicht abweichende Weltsicht, oder das Image des „Spenders“ oder „Gönners“, das man – nicht ganz zu Unrecht – mit einer gewissen gesellschaftlichen Stellung und bürgerlicher Arriviertheit verbindet, steht in einer zu großen Dissonanz zur eigenen Lebenssituation.

Und schließlich ist Geben auch praktisch gesehen nicht leicht: Es erfordert einen beträchtlichen Aufwand, passende Projekte zu finden, sie auf ihre Seriosität zu überprüfen und dann womöglich noch in Entscheidungsprozesse eingebunden zu sein in Bereichen, mit denen man selbst nicht gut vertraut ist.

Das Gerechtigkeits-Dilemma
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Zu diesen hemmenden Faktoren kommt erschwerend die besondere innere Logik des Gebens selbst hinzu.

Geben ist ja in der Tat ein seltsamer Akt. Zum einen ist es eine Transaktion, die zu mehr Gerechtigkeit führt: Der Gebende reduziert ja etwas, das er selbst besitzt, um dafür bei anderen, bei denen in dieser Hinsicht ein Mangel herrscht, ein Mehr hervorzurufen.

Doch auch der anderen Seite ruft, wer gibt, auch immer eine Schuld hervor, und zwar auf der symbolischen Ebene: Der Empfänger hat ja etwas erhalten, wofür er nichts getan hat und kann auch nichts Vergleichbares zurück-geben. Er profitiert aber vom Erhaltenen, das vielleicht sogar seine Existenz sichert oder überhaupt erst möglich macht.

Daher scheint der Empfänger nach dem Erhalt der Gabe auf eine eigentümliche Weise unter dem Gebenden zu stehen – der hingegen hat sich durch sein Geben, ohne es zu wollen, über den Nehmenden erhoben.  Diese Grundlogik wurde vom Soziologen Marcel Mauss in seinem Essay „Die Gabe“ schon vor fast einhundert Jahren überaus treffend beschrieben. Das letzte aber, was der philanthropisch Gebende möchte, ist, dass der Ausgleichs-Effekt, den die Gabe haben soll, im Gegenteil zu einer Verschärfung des Ungleichgewichts führt.

Aus dieser Logik, die letztlich eine des Gewissens ist, resultiert eine regelrecht Gebe-Scham. Sie ist – so vermute ich jedenfalls mit Blick auf mir bekannte Fälle und  auf meine eigene Geschichte – in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Und sie trägt dazu bei, dass es so schwierig ist, die im derzeitigen Wohlstand unserer Gesellschaft begründeten Potenziale des gemeinnützigen Sektors zu verwirklichen.

Aktuelle, brisante Gebe-Angebote
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Gerade für die Vertreter der Erbengeneration ist es also regelrecht teuer, zu geben – und zwar teuer nicht in monetärer, sondern vor allem in persönlicher Hinsicht.

Will man sie trotzdem in größerem Masse als bisher für ein Engagement im dritten Sektor motivieren, dann kann man zweierlei tun: Zum einen kann man Angebote machen, deren symbolischer Nutzen speziell für diese Geber den möglichen – meist nur befürchteten – symbolischen Schaden übersteigt. Und zum anderen kann man es ihnen leichter machen, sich über unterstützenswerte Projekte zu informieren.

Um die oft jüngeren Vertreter der Erbengeneration anzusprechen, können andere Themen geeignet sein als für den typischen Großspender. Als junger Mensch möchte man unmittelbar etwas verändern, gesellschaftliche Akzente setzen, man möchte die Brisanz des Projekts spüren, zu Innovation beitragen. Neben Projekten aus der politischen Bildung und der Wissenschaft sind in der derzeitigen Lage, mit den Diskussionen um fake news, Blasenbildung in den sozialen Netzwerken und die Glaubwürdigkeit der Presse, gerade Medienprojekte interessant.

Das Potenzial der Medien-Förderung
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Der Journalismus generiert die Geisteswelt, in der wir alle leben, die wir alle — mehr oder weniger — miteinander teilen, er konstituiert unser geistiges Ökosystem. Und er befindet sich heute in nahezu jeder Hinsicht im Umbruch. Viel wird über gemeinnützigen Journalismus diskutiert, und in der Tat sind auch erste Projekte bereits am Start.

Der dritte Sektor bringt ideale Voraussetzungen mit, die neue Medienwelt mitzugestalten: Stiftungen können als Garant der Unabhängigkeit von Journalismus fungieren, die heute – oft mehr als nötig – in Zweifel gezogen wird. Stiftungen können aber auch solche Aspekte des Mediensektors vorwärtsbringen, die zu kurz kommen, wenn man Journalismus nur von der Idee der Berichterstattung her versteht – vor allem den Aspekt der Bildung. Denn es wird immer klarer, dass der Diskurs zwischen verschiedenen Lagern und Weltsichten in unserem Gemeinwesen nur dann funktionieren kann, wenn möglichst viele Menschen die Ereignisse in möglichst großen Zusammenhängen beurteilen können – und nicht nur auf punktuelle Meldungen reagieren.

Für all diese Themen sollten gerade die jüngeren Vertreter der Erbengeneration besonders ansprechbar sein, denn sie berühren sich unmittelbar mit den derzeitigen brennenden gesellschaftlichen Fragen.

Matching einfacher machen
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Aber wie findet man als Mensch, der vielleicht noch nicht einmal auf die Idee gekommen ist, dass Zwecke wie Wissenschaft, politische Bildung  oder eben Medien eine Möglichkeit für gemeinnütziges Engagement bieten, entsprechende Angebote?

Was fehlt, ist ein Forum nach Art der Crowdfunding-Plattformen, auf denen man sich anonym verschiedene Angebote förderungswürdiger Projekte zunächst einmal ansehen kann, ohne bereits mit den Betreibern in persönlichen Kontakt zu treten. Ein solches Schaufenster würde den Zeitaufwand, der für eine Orientierung notwendig ist, maßgeblich verringern. Es würde außerdem die Projekte mit einem Image ausstatten, das für den digital native attraktiv ist und helfen, das Geben als normalen, zeitgemäßen wirtschaftlichen Akt zu etablieren, für den niemand sich schämen muss.


Ausserdem ein Artikel in der NZZ und ein Interview bei Stifter TV zum gleichen Thema: