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Medien, Geld und Gebescham

Über gemeinnützigen Journalismus und meine Geschichte als Gründer und Förderer

Die Carnegie Library in Syracuse, USA. Andrew Carnegie, ein Stahltycoon, war einer der grössten Förderer gemeinnütziger Projekte im 19. Jahrhundert und Autor des Essays „The Gospel of Wealth“. Medienförderung war damals noch kein Thema. Photo © LTL Architects

Wie wichtig ist Journalismus? Kann Journalismus vom gemeinnützigen Sektor her finanziert werden, zum Beispiel durch Stiftungen? Welche Probleme, welche Perspektiven tun sich dann auf? Und was geschieht, wenn Privatpersonen Medien fördern oder sich generell philanthropisch engagieren wollen? Wann sind wir überhaupt bereit, ohne Gegenleistung finanziell etwas zu geben und eben auch zu nehmen?

Mich interessieren hier die Schnittstellen und Überlappungen zwischen diesen Fragen, gerade unter den Bedingungen der Wohlstandsgesellschaft, ja der „Erbengesellschaft“, in der wir in Deutschland leben. Disclaimer: Ich bin selbst Gründer eines Medienprojekts sowie, wenn auch in eher bescheidenem Masse, ein „Erbe“, und berichte hier auch von meinem persönlichen Erfahrungen.

Journalismus hat immer von fremden Geldern gelebt: Nicht die, die lesen, hören, schauen, haben den Hauptteil der Kosten beglichen. Die Finanzierenden waren zuerst die Herrscherhäuser (die sich dafür das Recht der Zensur und der Propaganda-Nutzung herausnahmen), dann die Wirtschaft mit ihrer Werbung (deren indirekter Einfluss auf die Inhalte auch nicht unproblematisch ist). Auf dem einen oder anderen breiten finanziellen Rücken ist das Medium Journalismus, auch wenn die Leser natürlich einen Teil der Produktionskosten gezahlt haben, immer huckepack geritten. Und vielleicht geht es auch gar nicht anders angesichts der Masse dessen, was geschrieben und berichtet werden muss über die sich ständig verändernde Aktualität und der damit verbundenen Kosten — vor allem, wenn die Vielfalt des Geschriebenen erhalten bleiben soll.

Journalismus ist keine Ware

Heute spielen die Herrscherhäuser keine Rolle mehr, und seit dem Beginn der Online-Revolution brechen auch die Werbequellen weg. Eine ganze Branche ist nun auf der Suche nach neuen Finanzierungsmodellen. Einfach ist das nicht: Journalismus ist keine Ware, mit der man handelt wie mit Stahl oder Kartoffeln. Nur bei einigen wenigen Projekten scheint die Leserfinanzierung, das Modell „wer nutzt, der zahlt“, halbwegs zu funktionieren — für wie lange, weiss man nicht. Und wie sinnvoll ist es, den Journalismus den Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage zu überlassen (denn etwas anderes ist auch das crowdfunding nicht)? Journalismus ist weitaus mehr als nur eine Informations-Dienstleistung, die man sich kauft oder eben nicht, mehr als „nur“ etwas zu reportieren, und auch mehr als das berühmte „sagen, was ist“.



Geistiges Ökosystem
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Journalismus generiert die Geisteswelt, in der wir alle leben, die wir alle — mehr oder weniger — miteinander teilen, er konstituiert unser geistiges Ökosystem. Denn schliesslich ist ein Grossteil dessen, was wir den lieben langen Tag über lesen, sehen oder hören, in der einen oder anderen Form Journalismus. Ohne ihn wüssten wir nichts von Ereignissen ausserhalb unseres unmittelbaren persönlichen Umfeldes. Wir könnten uns nicht zu einer solchen Vielzahl von Fragen und Probleme Meinungen bilden, gäbe es nicht Menschen, die sich schon vor uns in diese Fragen eingearbeitet haben und dann darüber schreiben. Selbst von grundlegenden Forschungsergebnissen, von Büchern, von Kunstwerken, also von all den Geistesprodukten, die in einem sehr viel langsameren Zeittakt zu Hause sind als die eigentlichen „News“, erfahren wir oft zuerst — oder auch ausschliesslich — aus den journalistischen Medien.

Journalismus generiert unser geistiges Ökosystem

Welche medialen Wesen sich in diesem Ökosystem tummeln, welche von ihnen an leicht zugänglichen Orten zu finden sind und welche versteckt in Gebüsch und Unterholz leben, ob sie alle miteinander wechselwirken oder ob das Biotop in einzelne Inseln zerfällt — all das hat einen gewaltigen Einfluss auf unsere Entscheidungen und unsere Handlungen, auf unser grundlegendes feeling für die Wirklichkeit. Dem Markt, dem sogenannten „zweiten Sektor“ der Wirtschaft (nach dem ersten, staatlichen Sektor) hier alle Zügel in die Hand zu geben wäre da auch unklug — abgesehen davon, dass nicht klar ist, wie weit es überhaupt funktioniert.

Kultur

Wenn Journalismus also keine markttaugliche Ware ist, was ist er dann? Man könnte sagen: Journalismus ist Kultur — im Sinne: Er ist ein Kulturgut. Also etwas, das allein aus sich heraus, ohne Berücksichtigung eines eventuellen Geldwertes, einen Wert für die Gemeinschaft besitzt, in der wir leben. Ganz wie bei anderen Kulturgütern und Kulturinstitutionen stellt sich dann die Frage: Wer zahlt für sie? Wir hätten weder Museen noch Konzerte, weder Bibliotheken noch Universitäten, wenn sie nicht gefördert würden — zumeist durch den Staat, oft aber (gerade in den USA) auch durch Privatpersonen und Stiftungen.

Staatliche Kulturförderung für Journalismus?

Aber hier zeigt sich ein weiteres Problem. Journalismus wirkt in einem stärkeren Masse als andere Kultur-Institutionen als politisches Korrektiv. Er ist die vierte Gewalt im Staat, er soll die Politik beleuchten, hinterfragen und kritisieren, dies ist für das Funktionieren der demokratischen Gesellschaft unabdingbar. Das heisst aber auch, dass zumindest eine staatliche Medienfinanzierung problematisch, wenn nicht prinzipiell ausgeschlossen ist. Das Modell der öffentlich-rechtlichen Medien vollführt hier einen erfolgreichen Spagat, eignet sich aber nur für die wenigsten Formen des Journalismus.

dritter Sektor

Der Weg zurück in den den ersten Sektor, den staatlichen, ist für die Finanzierung von Journalismus also kaum gangbar. Bricht nun die Zeit des dritten Sektors an, der Stiftungen, der privaten Mäzene, der Gemeinnützigkeit und der non-profit-Organisationen? Sollen, können sie eine viel größere Rolle übernehmen als bisher, bei der Aufgabe, das journalistische Ökosystem vielfältig, qualitativ hochwertig, überhaupt erst einmal lebensfähig zu erhalten? Es spricht vieles dafür — zumindest in Hinblick auf einige Arten journalistischer Projekte. Aber es gibt auch zahlreiche Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden müssen.

Stiftungsfinanzierung ist Konkurrenz für andere Finanzierungsformen

Die Probleme beginnen damit, dass eine Stiftungsfinanzierung die Leserfinanzierung, also den „Verkauf“ der journalistischen Inhalte an die Leser, nicht nur ergänzt, sondern auch in Konkurrenz zu ihr tritt. Denn wenn einige Medien von Stiftungen (mit-)finanziert werden, andere hingegen nicht, dann wird es für die rein marktwirtschaftlich aufgestellten oder crowdgefundeten Medien noch schwerer. Ausserdem stellt sich auch hier das Problem der Unabhängigkeit, vergleichbar dem, wie es bei staatlicher Finanzierung auftaucht: Stiftungen und oft auch Privatpersonen sind nicht einfach neutrale Player, auch sie haben Interessen, Weltanschauungen, Agenden. Wie kann der Content da vor Beeinflussung geschützt werden?

Zu diesen beiden Grundfragen kommen weitere, deren Lösung möglicherweise komplizierter ist, als es zunächst scheinen könnte: Etwa die Schwierigkeiten des matchings zwischen Gebern und Empfängern sowie — zumindest bei privaten Playern im dritten Sektor — die Frage, wie weit denn das Geben selbst in unserer Gesellschaft überhaupt ein etablierter — und akzeptierter! — wirtschaftlicher Vorgang ist. Von beiden wird weiter unten die Rede sein, aus meiner konkreten Erfahrung als Mediengründer und auch als Medienförderer heraus.

Wohlstand

Ungeachtet dieser Schwierigkeiten sind die Voraussetzungen für einen gemeinnützigen Journalismus gerade in unseren hochentwickelten Industriegesellschaften eigentlich ideal, und dies insbesondere — auch wenn es in der Praxis bisher noch nicht wirklich in Erscheinung tritt — in Deutschland.

Wir leben, was ja in anderer Hinsicht auch gelegentlich mit Recht beklagt wird, in saturierten Gesellschaften, in Wohlstandsgesellschaften. Zwar ist der Wohlstand alles andere als gleichmässig verteilt, aber er ist doch, aufs Ganze gesehen, in der Gesellschaft vorhanden. Und ein nicht unbedeutender Teil von diesem Wohlstand steht zumindest prinzipiell, über Stiftungen, Mäzene und private Spenden, auch dem dritten, gemeinnützigen Sektor zur Verfügung.

Je mehr Geld ich habe, desto weniger gehört es mir

Das Verhältnis zwischen Privateigentum und Gemeinnutz ist dabei besonders interessant, weil es stark von den Überzeugungen und den ethischen Prinzipien einzelner Personen abhängt. Die meisten der grossen deutschen Stiftungen verdanken ihr Bestehen dem Willen einer Unternehmerpersönlichkeit oder einer Unternehmerfamilie. Es scheint, dass viele Menschen, die im Laufe ihres Lebens zu grossem Reichtum gekommen sind, irgendwann an den Punkt gerieten, an dem sie spürten: Je mehr Geld ich habe, desto weniger gehört es eigentlich mir, oder desto mehr möchte ich zumindest, dass auch andere an diesem finanziellen Privileg teilhaben. Das ist mehr als das „Eigentum verpflichtet“ unserer Grundgesetzes.

Die Beweggründe der verschiedenen Stifter mögen unterschiedliche und sehr persönliche gewesen sein. Es ist aber sicher kein Zufall, dass viele sich auch heute noch auf den Essay The Gospel of Wealth des US-amerikanischen Industriellen und Philanthropen Andrew Carnegie berufen, den dieser 1889, auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn als Stahltycoon, verfasste.

Carnegie war ein überzeugter Wirtschaftsliberaler, Verfechter eines ausgesprochenen Individualismus und selbst prototypisches Beispiel des amerikanischen self-made man (er galt als reichster Mensch seiner Zeit). Andererseits vertrat er mit grossem Einsatz sozialreformerische Ideen, die er schon während seiner Kindheit in Schottland kennengelernt hatte. In seinem Essay, der bereits zur Zeit seines Erscheinens grosse Resonanz hervorrief, hebt er die gesellschaftliche und moralische Verantwortung des Wohlhabenden hervor, der „alle zusätzlichen Einkünfte bloss als anvertraute Fonds betrachten [soll], die er pflichtbewusst so zu verwalten hat, dass sie der Gemeinschaft den grösstmöglichen Nutzen bringen.“ Es gehe zum Beispiel darum, „kostenlose Bibliotheken, Parks und Freizeitmöglichkeiten“ zu erschaffen — sehr aktuelle Forderungen, kann man sich denken, im ausklingenden 19. Jahrhundert in den USA. Wer statt dessen seinen Reichtum mit ins Grab nehme, über den werde man das Urteil fällen: Der Mann, der so reich stirbt, stirbt in Schande. „Genau das“, schreibt Carnegie, „ist meiner Meinung nach die eigentliche Lehre vom Reichtum. Folgt man ihr, wird man eines Tages das Problem von Arm und Reich lösen und erreichen, dass auf Erden Frieden zwischen den Menschen herrschen wird, die guten Willens sind.

Natürlich ist heute die Lage noch einmal anders als zu der Zeit, als die grossen Stiftungen entstanden. Die industrielle Revolution liegt weit in der Vergangenheit, und seit der Epoche des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Wirtschaftswunder haben ebenfalls bereits zwei, drei Generationen gewirtschaftet. Der Wohlstand hat sich teils depersonalisiert in Konzernen und Finanzströmen, er ist aber teils auch in verschiedenen Portionsgrössen anderen, jüngeren Einzelpersonen zugefallen, die ihn selbst gar nicht erarbeitet haben: Stichwort Erbengesellschaft. Wie viel es genau ist, das in Deutschland jedes Jahr vererbt wird, darüber gehen die Schätzungen auseinander (eine Statistik gibt es nicht), aber die Rede ist von 80 bis 350 Milliarden. Und ein Ende der Erbschaftswelle ist nicht abzusehen.

Warum boomt der gemeinnützige Journalismus nicht?

Rein von den Ressourcen her bestehen also ideale Voraussetzungen für einen gemeinnützigen, aus dem dritten Sektor (mit-)finanzierten Journalismus. Die oben erwähnten Probleme der Neutralität und der Konkurrenz-Verzerrung lassen sich wohl durch Transparenz und vertragliche, notfalls gesetzliche, Mittel lösen oder zumindest handhabbar machen. Man könnte also durchaus erwarten, dass sich der gemeinnützige Journalismus in Deutschland explosionsartig entwickelt, dass er dort in die Bresche springt, wo das Wegbrechen der Werbefinanzierung ein Loch, ja einen Abgrund hinterlassen hat. Aber das geschieht nicht. Das mag teilweise daran liegen, dass Journalismus finanzrechtlich in Deutschland nicht als Ziel gemeinnütziger Tätigkeit gilt (unter verwandten Förderzielen wie Bildung oder Unterstützung der Demokratie allerdings dennoch gefördert werden kann) — ich sehe für die zögerliche Entwicklung der Stiftungsfinanzierung im Journalismus jedoch auch noch zwei ganz andere Gründe.

matching-trouble und innovation-deadlock
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Was den institutionell organisierten Teil des dritten Sektors angeht, also die Zusammenarbeit zwischen Stiftungen, die Journalismus fördern wollen, und journalistischen Projekten, die die Finanzierung benötigen, so stellt sich eine doppelte Frage, nämlich (a) wie finden die passenden Partner zueinander? und (b) wie schaffen sie es, diejenigen Innovationen hervorzubringen, die das journalistische Ökosystem heute zu seinem Überleben und seiner Entwicklung benötigt? Beide Fragen sind eng miteinander verbunden und haben vor allem mit der Kommunikation innerhalb der Förderer-Geförderten-Partnerschaft zu tun.

Derzeit ist es meistenteils so, dass Stiftungen, die ja sowieso durch ihren Stiftungszweck auf ein spezifisches Arbeitsfeld festgelegt sind, für eine Förderperiode ihre Ziele definieren, also ihr Förderprofil aufstellen und dieses auch nach aussen hin kommunizieren. Solche Ziele können etwa sein: die Bürger stärker an der Berichterstattung zu beteiligen, in einer bestimmten Region im Ausland den unabhängigen Journalismus zu unterstützen oder bestimmten Formaten, wie Wissenschaftsjournalismus oder konstruktivem Journalismus, ein stärkeres Gewicht zu verleihen.

Im Verhältnis zwischen Medienprojekten und Stiftungen herrscht viel Verwirrung

Die Projekte — entweder bereits bestehende oder solche, die noch in der Planungsphase sind — wenden sich dann mit Anträgen an die Stiftungen und schildern ihnen, weshalb sie glauben, ins entsprechende Förderprofil zu passen. Oft genug ist dies eine regelrechte Überzeugungsarbeit, die zu einer seltsamen Verzerrung im Verhältnis zwischen beiden Partnern führt: Die Stiftung wird vom Journalismus-Projekt zum einen als „Kunde“ behandelt, den man davon überzeugen muss, das angebotene Produkt, nämlich das geplante Format oder die geplanten Veröffentlichungen, zu „kaufen“ (= zu fördern); zum anderen befindet sich das journalistische Projekt auch automatisch in der Rolle des Bittstellers und die Stiftung dann entsprechend in der des „Gönners“, von dessen „Wohlwollen“ letztlich abhängt, ob die Förderung erteilt wird oder nicht.

Diese Überlagerung zweier grundverschiedener Rollen-Modelle ist bereits für sich genommen ein Hemmnis für die Produktivität der Zusammenarbeit. Gerade das journalistische Projekt gerät in eine paradoxe Situation, in der es zum einen die Formatidee offensiv anpreisen muss, zum anderen sich aber ebenso defensiv dem stets mächtigeren Geber-Partner unterordnen muss. Das Modell „Förderer-Antrag // Geber-Profil“ führt aber auch zu vielerlei Effekten der Fehlallokation — etwa dazu, dass die Projekte ihre Aktivitäten so „zurechtbiegen“, dass sie ins Förderraster der Stiftungen passen, wodurch sie oft nur halbherzig verwirklicht werden und es nicht zu einer kontinuierlichen Weiterentwicklung kommt.

Vor allem aber hemmt dieses Modell die Innovation, die wir in Zeiten des medialen Umbruchs so unbedingt nötig haben. Denn wie soll eine Stiftung, die ihr Förderprogramm formuliert, überhaupt von den Projekten Kenntnis erlangen, die sie vielleicht würde fördern wollen, wenn sie von ihnen wüsste? Wie sollen die Projekte andererseits ahnen, in welche Richtungen die Visionen der Stiftungen gehen, wenn sie von ihnen nichts erfahren? Nichts schützt uns davor, dass gerade besonders interessante Projekte durchs Raster der Stiftungsförderung fallen, und das womöglich in einem für sie entscheidenden Entwicklungsstadium, nur weil Stiftungen und Projekte viel zu spät begonnen haben, miteinander zu reden.

Das Profil-Antrag-Modell führt zu Fehlallokationen

Hierzu, wie angekündigt, ein Beispiel aus eigener Erfahrung. Ich habe vor zwei Jahren das Medienprojekt dekoder.org gegründet, das russische unabhängige, das heisst nicht-staatliche Medien ins Deutsche übersetzt und durch Kontext-Artikel von Wissenschaftlern für das deutschsprachige Publikum erschliesst. dekoder fasst mit der Russland-Thematik also ein wirklich heisses Eisen an, das in den knapp zwei Jahren des Bestehens von dekoder sogar noch heisser geworden ist. dekoder hat ein exzellentes Standing, in Fachkreisen und darüber hinaus, hat als innovatives Format zwischen Wissenschaft und Journalismus im vergangenen Jahr den renommierten Grimme Online Award gewonnen, ist als gemeinnützig anerkannt und trägt, wie immer wieder bestätigt wird, viel dazu bei, dass hier in Deutschland ein besser differenziertes Russland-Bild gezeichnet wird.

Dennoch bekommt dekoder für den laufenden alltäglichen Betrieb keine Stiftungsfinanzierung. Einige Stiftungen wollen Projekte unmittelbar in Russland fördern (dekoder hingegen übersetzt aus dem Russischen für deutsche Leser), andere fördern gemeinnützigen Journalismus nur in Deutschland selbst (die Autoren, deren Artikel dekoder übersetzt, sind aber russische Journalisten). So fällt dekoder, ungeachtet seiner für jedermann offensichtlichen Relevanz, durchs Förderraster — eine paradoxe Situation.

(In Klammern, zur Klärung: Mitunter werden einzelne Artikelserien und Formate bei dekoder von Stiftungen unterstützt, und wir freuen uns über jeden dieser Partner. Generell ist es aber ein Problem für journalistische Projekte, dass Finanzierungsbeiträge für den „Normalbetrieb“ von Stiftungen seltener bereitgestellt werden als punktuelle, auf einen kurzen Zeitraum beschränkte Finanzierungen von Unterprojekten. Das Problem stellt sich bei dekoder in potenzierter Form, aufgrund des beschriebenen mismatchings.)

dekoder hat den Grimme Online Award gewonnen, fällt aber durchs Förderraster

Wie anders könnte es aussehen, wenn man rechtzeitig, etwa im Rahmen einer Sondierungsrunde, miteinander geredet hätte oder wenn die Stiftungen eine grössere Flexibilität an den Tag legen würden, auch solche Projekte zu diskutieren, die ausserhalb ihres für eine gegebene Periode festgelegten Förderprofils liegen. Ich will hier auch unsere eigene Verantwortung für die missliche Situation nicht schmälern: Auch wir haben uns nicht rechtzeitig, das heisst noch in der Planungsphase, an die Stiftungen gewandt und ihnen von unserem Projekt erzählt. Wir haben es vorgezogen, schnell zu handeln und dekoder online zu bringen, was angesichts des politischen Umfelds, in dem das Projekt situiert ist, auch sinnvoll und tatsächlich die erste Priorität war. Aber wie immer man es auch dreht und wendet: Mit einer besseren Kommunikation, mit einer anderen Art von Forum als es das „Profil-Antrags-Modell“ darstellt, hätte sich der matching-trouble zwischen Projekt und Stiftungen vermutlich vermeiden lassen und hätte eine journalistische Innovation, die von allen Seiten als äusserst wichtig und gelungen beurteilt wird, eine Chance auf eine frühzeitige finanzielle Stabilisierung gehabt.

Gebescham
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So kommt es, dass ich dekoder derzeit noch grossenteils selbst finanziere, und zwar aus meiner persönlichen, für solche Belastungen allerdings nicht lange ausreichenden Erbschaft. Nach den ersten, privat geleisteten Unterstützungen habe ich inzwischen, um meinem Förder-Engagement einen institutionellen Rahmen zu geben, die Konvert Stiftung gGmbH gegründet. Der Slogan von Konvert lautet value to value: Es soll darum gehen, materielle Werte, also Geldwerte, in immaterielle Werte wie Solidarität, Wissen, Innovationsgeist oder eben journalistische Qualität zu verwandeln (zu „konvertieren“) — um sozusagen sphärenübergreifende Werte-Transaktionen also, die, wie ich glaube, generell in unseren materialistischen und Geld-fixierten Gesellschaften zu kurz kommen.

Dies bringt mich auch zum zweiten Punkt, von dem ich denke, dass er heute noch insgesamt das Funktionieren der Zusammenarbeit zwischen journalistischen Projekten und möglichen Förderern — hier nun vor allem privaten Gebern — hemmt. Ich bin selbst nicht erst mit dekoder zum Förderer geworden. Als jemand, der im weitesten Sinne zur deutschen „Erbengeneration“ gehört, habe ich schon lange immer wieder aus den mir zur Verfügung stehenden Mitteln gemeinnützige Projekte unterstützt, vor allem Bildungsinitiativen und solche aus dem sozialen Bereich. Ich habe dabei viele Jahre gebraucht, um etwas zu überwinden, das ich die Gebescham nenne. Heute weiss ich: Sie ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet, und sie ist der vielleicht grösste Hemmschuh dabei, die im derzeitigen Wohlstand unserer Gesellschaft begründeten Potenziale des gemeinnützigen Sektors zu verwirklichen.

Ich habe viele Jahre gebraucht, um meine Gebescham zu überwinden

Das Geben ist ein seltsamer Akt. Zum einen ist es eine Entäusserung: Man reduziert etwas, das man selbst besitzt, um dafür bei anderen, bei denen ein Mangel herrscht, ein Mehr hervorzurufen. Das ist eigentlich etwas Ausgleichendes. Auf der anderen Seite ruft jedoch, wer gibt, auch immer eine Schuld hervor, und zwar auf der symbolischen Ebene: Der Empfänger hat ja etwas erhalten, wofür er nichts getan hat und kann auch nichts Vergleichbares zurück-geben, profitiert aber vom Erhaltenen, das vielleicht sogar seine Existenz sichert oder überhaupt erst möglich macht. Daher scheint der Empfänger nach dem Erhalt der Gabe auf eine eigentümliche Weise unter dem Gebenden zu stehen, der sich durch sein Geben, ohne es zu wollen, über den Nehmenden erhoben hat. Diese Grundlogik wurde vom Soziologen Marcel Mauss in seinem Essay „Die Gabe“ schon vor fast einhundert Jahren überaus treffend beschrieben. Das letzte aber, was der philanthropisch Gebende möchte, ist, dass der Ausgleichs-Effekt, den die Gabe haben soll, im Gegenteil zu einer Verschärfung des Ungleichgewichts führt. So trägt die seltsame Logik des Gebens oft selbst dazu bei, dass gerade diejenigen unter den möglichen Gebern, die mit einem besonders wachen Gewissen ausgestattet sind, aufs Geben verzichten.

Viele verzichten aufs Geben, um mit ihren Freunden „auf einer Ebene zu bleiben“

Es ist aber nicht nur der innere Blick des Gewissens, der einen paradoxerweise am Geben hindern kann. Mindestens ebenso wirkungsvoll in ihrer Hemmwirkung sind die unzähligen Augen der Gesellschaft, die sich auf den Gebenden selbst richten. Ihre Botschaften — egal ob der Gebende sie wirklich empfängt oder nur zu empfangen glaubt — sind vielfältig. Zunächst „outet“ sich der Gebende als vermögend — weiss aber, dass vielleicht die Menschen, die ihm am liebsten und am nächsten sind, alles andere als reich sind, und er also in dem Augenblick, indem er gibt, die Gleichheit mit seinen Freunden verliert, die Solidarität im Prekären (das ja die Standardsituation des Menschen ist). Mit seinen Freunden, seiner in-group in der gleichen Lage zu sein, kann aber für den potentiell Gebenden ein Gut darstellen, das er um keinen Preis verlieren möchte, denn es konstituiert ihn als die Person, die er ist. Und darum wird er möglicherweise auch aus diesem Grunde auf das Geben verzichten, das ihm doch andererseits, rein materiell gesehen, so leicht fiele. Gerade in unserer Generation weiss ich von vielen Menschen, die ihren ererbten Reichtum genau aus diesem Grunde verstecken — und ihn so, paradoxerweise, der Gesellschaft und denen, die an ihm Anteil haben könnten, entziehen.

Einen Ausweg gibt es, so bin ich überzeugt, nur in der Offenheit, und die Hauptlast trifft hier die Gebenden selbst. Sie sollten sich nicht schämen, zu sagen: „Ich möchte einen Teil meines Vermögens an gemeinnützige Zwecke geben“ und dies dann auch wirklich zu tun. Je mehr Menschen so handeln, desto weniger werden sie schief angeschaut. Kein Mitglied unserer Gesellschaft hat sich ausgesucht, dass diese derzeit ist wie sie ist, wir sind alle in sie hineingeboren worden und können nur gemeinsam versuchen, sie auf einen besseren Weg zu führen. Aus der Ungleichverteilung bewusst eine positive Dynamik zu generieren, ist ein Schritt dazu. Daher, wer auch immer die Möglichkeit dazu besitzt: Wage zu geben! Und zwar nicht nur für klassische Hilfsprojekte — die natürlich sowieso jede Unterstützung verdient haben — sondern eben auch im Kontext des Journalismus.

Zukunft häppchenweise
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Nach diesem zugegebenermassen recht persönlichen Plaidoyer, das Geben allgemein betreffend, nun abschliessend wieder zurück zum Journalismus. Kann der gemeinnützige dritte Sektor, können Stiftungsfinanzierung und Engagement privater Förderer die finanziellen Probleme des Journalismus lösen? Für sich alleine sicherlich nicht. Aber sie können einen wichtigen Baustein im Finanzierungsmix gerade derjenigen Medien darstellen, die sich am wenigsten für eine kommerzielle Vermarktung eignen. Je nach dem, wie dieser Mix aufgestellt ist, kann der gemeinnützige Anteil entscheidend dafür sein, dass solche Medien überhaupt existieren.

Gute Medien sind ebenso gemeinwohl-relevant wie die Parks und Bibliotheken des Andrew Carnegie

Ausserdem sind Stiftungsfinanzierung und private philanthropische Unterstützung ideal dazu geeignet, einem Medium in der verlängerten Gründungsphase und während der Zeit seiner Etablierung in der Medienlandschaft die Möglichkeit zur Entwicklung zu eröffnen — bis möglicherweise ein anderes Finanzierungsmodell die Hauptlast übernehmen kann. Beides, die Existenzsicherung nicht kommerztauglicher, dennoch wertvoller Medien sowie die Überbrückung der schwierigen Etablierungsphase neuer Medienideen, kommt unmittelbar der Pflege des journalistischen Ökosystems zugute, und damit jener dynamischen Geistesumwelt, die für uns als Bürger nicht weniger bedeutsam ist als die „kostenlosen Bibliotheken, Parks und Freizeitmöglichkeiten“, von denen Carnegie in seinem Gospel of Wealth spricht.

Wir brauchen journalistische Formate für die innere Völkerverständigung

Die Herausforderungen, die uns alle, die wir in der einen oder anderen Weise an den Vorgängen in der Mediensphäre beteiligt sind, in den nächsten Jahren und vermutlich Jahrzehnten erwarten, sind enorm. Wir sehen heute eine rasante Entwicklung bei den Formaten. Neben die klassischen Formen des news-Berichts, der Reportage, der Analyse, des Kommentars treten verstärkt solche Formate, die bewusst den Blick auf langfristige Prozesse richten und die Überlast an Negativberichterstattung zu korrigieren versuchen: Konstruktiver Journalismus und slow journalism sind auf dem Vormarsch. Dies ist eine gute Entwicklung, denn ein mediales Biotop, in dem die Katastrophen die Oberhand haben und das sich heute schon nicht mehr an sein Gestern erinnert, vermittelt kein angemessenes feeling for reality — abgesehen davon, dass es keine Freude ist, in ihm zu leben.

Geber und Projekte müssen ständig miteinander reden, damit Neues entstehen kann

Die grösste aktuelle Herausforderung aber wird sein, mit der neuen Kluft, die in unserer Gesellschaft aufgerissen ist und die sich widerspiegelt im Verhältnis zwischen den etablierten Medien und denjenigen, die gelegentlich „alternativ“ genannt werden, in einer Weise umzugehen, die die Widersprüche weder ignoriert noch verwischt. Hier muss es darum gehen, die Vertreter der jeweiligen Abbruchkanten, die sich derzeit wortlos gegenüberstehen, wieder miteinander ins Gespräch zu bringen. Auch dieses Ziel — man könnte es das Ziel der inneren Völkerverständigung nennen — ist eines, für das der gemeinnützige Sektor geradezu ideale Voraussetzungen mitbringen müsste.

Wir können alle diese Herausforderungen meistern, und mehr noch: Wir können Dinge hervorbringen, von denen wir jetzt noch gar nicht ahnen, dass es sie einmal geben könnte, wenn wir das gewaltige Potential des gemeinnützigen Sektors nutzbar machen. Das gelingt, Stück für Stück, wenn wir, alle Beteiligten — das heisst journalistische Projekte, Stiftungen und private Förderer und nicht zuletzt die Leser, Zuschauer, Zuhörer und damit Mitgestalter selbst — uns regelmässig in gemeinsamen Foren, Gesprächs- und Planungsrunden zusammensetzen und im ständigen Austausch miteinander bleiben.


Für mehr Einblicke in die Fragen, die bei der Zusammenarbeit zwischen Stiftungen und journalistischen Projekten entstehen, empfehle ich die Aufzeichnungen vom Journalism Funders Forum, bei deren Veranstaltung 2017 in Hamburg ich selbst auch Teilnehmer war.

An English translation of this article is available here.


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