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Epistemic Toolkit

Vorschläge für ein neues Instrumentarium zum Umgang mit Wissen und Erkenntnis im digitalen Zeitalter, kontinuierlich fortgeschrieben und aktualisiert.

01: Wir müssen wissen
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Wir wollen nicht nur, wir müssen wissen. Wissen ist die Voraussetzung für ein angemessenes Weltverständnis, erfolgreiches Handeln und sinnvolle Politik.

Aber der kognitive Werkzeugkasten, mit dem wir Wissen gewöhnlich bearbeiten, ist veraltet. Er stammt noch aus der Zeit vor der digitalen Medienrevolution, ja sogar vor dem Entstehen der modernen Wissenschaften. Er führt uns ständig in die Irre, produziert epistemische Arroganz, hyperpolarisierte Kontroversen und massive Fehleinschätzungen der Wirklichkeit. Auch die derzeitige „Krise der Faktizität“ lässt sich als Folgeeffekt unserer veralteten Wissenswerkzeuge verstehen.

In diesem Stream – einer kontinuierlich fortgeschriebenen Publikation – gehe ich den Ursachen der gegenwärtigen Erkenntnis-Konfusion nach und konzipiere einen neuen epistemischen Toolkit: einen erweiterten Wissens-Werkzeugkasten für das Zeitalter der digitalen Medien und der industriellen Wissenschaften.

Erkenntniskulturen 01
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Nichts daran, wie wir mit Erkenntnis umgehen, ist unveränderlich oder naturgegeben. Noch nicht einmal die Bedeutung von Wörtern wie „Erkenntnis“ oder „Wissen“ selbst. All dies ist historisch so geworden, wie es derzeit ist: Es hat sich so ergeben.

Das Vokabular, die Logik, die Heuristiken und das Mindset, mit denen wir Erkenntnis handhaben, sind Teil einer historisch entstandenen Kultur: unserer Erkenntniskultur. Und so, wie diese Erkenntniskultur im Lauf der Zeit ihre heutige Form angenommen hat, kann sie sich auch wieder im Lauf der Zeit verändern. Oder wir können sie verändern, wenn sich herausstellt, dass etwas mit ihr nicht mehr funktioniert.

Und genau das ist heute der Fall: Unsere traditionelle Erkenntniskultur ist dysfunktional geworden. Sie hat mit der Entwicklung der modernen Wissenschaften und mit der digitalen Medialisierung nicht Schritt gehalten. Und das ist kein Wunder, denn unsere Erkenntniskultur ist in ihren Grundzügen seit der Antike (oder gar der „grauen Vorzeit“) unverändert geblieben. Sie behandelt alle Erkenntnis immer noch so, als stamme sie aus unserer unmittelbaren, konkreten persönlichen Erfahrung. Und sie kennt nur eine einzige Spielart von Erkenntnis: das Wissen.

Doch diejenigen Erkenntnisse, die heute für uns gesellschaftlich und politisch relevant sind, entsprechen diesem Muster nicht. Sie werden nicht von der persönlichen Erfahrung hervorgebracht, sondern von den institutionalisierten Wissenschaften. Sie werden nicht mündlich von Mensch zu Mensch weitergegeben, sondern sind präsent in der digitalen Medialität und werden durch sie vermittelt. Und sie lassen sich schon lange nicht mehr unter den Begriff des „Wissens“ subsumieren. 

Ja, einige der ständig neu produzierten Erkenntnisse moderner Wissenschaften sind tatsächlich Wissen. Zahlreiche andere hingegen sind es, wie ich im Folgenden argumentieren werden, eben gerade nicht – und werden dennoch in unserer Erkenntniskultur fast durchgängig als „Wissen“ deklariert.

In dieser falschen Gleichsetzung von Erkenntnis und Wissen liegt eine unablässige Fehlerquelle. Sie spielt uns massenweise Wissens-Falschgeld in die Taschen, mit dem wir uns dann, ohne es selbst zu wollen, gegenseitig betrügen, mit fatalen Folgen für Diskurs, Politik und individuelle mentale Integrität.

Auf dem Weg zu einer modernen, funktionstüchtigen Erkenntniskultur für das wissenschaftliche und digitale Zeitalter muss daher eine zentrale Frage lauten: Wie können wir mit jenen Erkenntnisarten angemessen umgehen, die nicht unter den Begriff des Wissens fallen? Diese Frage hat weitreichende Konsequenzen nicht nur für unser Verständnis von Wissenschaft, sondern generell dafür, wie wir uns in der Welt orientieren und mit ihr interagieren.

About 01
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Was ist das für ein Text? Was soll das werden hier? Wie gesagt, nicht – zum Beispiel – ein Buch, sondern ein Stream. Er beginnt von einem kleinen Startfeld aus, von dem aus sich wesentliche Thematiken bereits vorläufig aufrufen lassen, ohne dass sie bereits eine klare Gestalt hätten oder dass klar wäre, wohin der Hase läuft. Das tut er sowieso nicht linear, sondern in Schlaufen; der Stream ist also eine Art Spirale oder ein sich Schritt für Schritt entwirrendes Knäuel.

„Vorläufig“ ist überhaupt ein Schlüsselwort. Am Startpunkt der Spirale bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als mit den Wörtern erst einmal so zu arbeiten, wie man sie halt derzeit versteht. Das heißt, sie muss Begriffe verwenden, die sie eigentlich loswerden oder grundsätzlich verändern will. Ich werde also, um überhaupt anfangen zu können, zunächst einmal einen ganzen Haufen Missverständnisse produzieren müssen, die erst in den nachfolgenden Spiralgängen Gelegenheit haben werden, sich nach und nach aufzulösen.

Ich werde zum Beispiel von (Wissenschafts-)„Kommunikation“ reden, obwohl ich ganz woanders hinwill, nämlich zu Medialisierung von Wissenschaft. Oder ich werde „Medien“ sagen und in Kauf nehmen, dass jeder „Journalismus“ denkt, obwohl ich gerade davor warnen möchte, beide in einen Topf zu werfen. Oder ich werde zunächst gelegentlich auch dort „Wissen“ schreiben, wo ich eigentlich eine ganz andere Art von Erkenntnis meine, für die es aber noch kein Wort gibt.

Vorläufig ist dieser Text aber auch in der Hinsicht, dass ich ihn tatsächlich so schreibe, wie ich ihn auch veröffentliche: Abschnitt für Abschnitt, Spiralwindung für Spiralwindung. Es gibt weder Kapitelschema noch Textdisposition. Sicher, die Gedanken selbst sind vorgearbeitet, in Hunderten Seiten von Notizen, unzähligen Diskussionen auf Social Media und von Mensch zu Mensch, endlosen, manchmal auch durchaus abseitigen Lektüren von Papers und Büchern und natürlich jahrelangen eigenen Erfahrungen in Medien, Philosophie und Wissenschaften. 

Was hier erscheint, entsteht aber von Null und ohne Vorentwurf. Es ist eine real time-Textproduktion, gewissermaßen ein einziger, sich über Wochen und Monate entwickelnder Post. Und damit auch ein Experiment – eines, bei dem man in Echtzeit beobachten kann, wie es scheitert oder gelingt. Ich nehme an, beides zugleich wird geschehen.

Ein anderes Schlüsselwort wäre „Entwurf“ oder gar „Erfindung“ oder sogar „Fiktion“. Denn eins muss von vornherein klar sein: Dies ist kein wissenschaftlicher Text. Am ehesten wäre es wohl ein philosophischer, aber es ist egal, wie man ihn nennt. Sofern gesagt ist, was er tun soll: nämlich Dinge entwerfen und gestalten. „Dinge“ im Sinn von: Wörter. Begriffe. Denkfiguren. Sogar Teile der deutschen Grammatik werden im Laufe dieses spiraligen Streams wenn nicht neu erfunden, so doch zumindest hinzuerfunden.

Und deshalb finde ich es sinnvoll, bereits hier vorsorglich einmal „Fiktion“ gesagt zu haben. Als Warnung, wenn man so will (wobei es für mich selbst eher ein verlockendes Versprechen wäre). Denn diese Spirale soll den, der sie liest, in etwas hineinstrudeln, in das er ohne sie wohl nie hineingeraten wäre. So, wie ein Roman in eine ausgedachte Welt entführt (die deshalb interessant und wertvoll ist, weil sie trotz aller Ausgedachtheit etwas mit der „wirklichen“ Welt zu tun hat), so entführt diese Spirale in eine ausgedachte Denkweise. Und auch die hat eine Menge mit der „wirklichen“, also der üblichen Denkweise zu tun und wird deshalb, so hoffe ich jedenfalls, interessant und möglichst auch fruchtbar sein. 

Allerdings – auch das muss gesagt sein – sind diese Gestaltungen oder „Erfindungen“ nichts Willkürliches. Eher gleichen sie einer gut geplanten Ingenieursarbeit: Es gibt eine Aufgabe (nämlich die, neue Lösungen für den kognitiven Umgang mit moderner wissenschaftlicher Erkenntnis zu finden), und sie zu bewältigen, kann nur gelingen, wenn man maximal informiert ist, den Stand der Forschung und der Debatten kennt und die „constraints“ der Aufgabe (als Ingenieur z. B. die physikalischen Gesetze) verinnerlicht hat. 

Insofern ist das, was dieser Text leisten soll, eine Art von R&D, also ein pragmatisches research and development. Ich erhebe weder den Anspruch, eine Problematik erschöpfend zu behandeln noch einen Forschungsstand umfassend darzustellen. Sondern ich mache einen fundierten, sicher auch etwas ungewöhnlichen, dabei durchaus praktisch umsetzbaren Vorschlag – im Sinne einer „konstruktiven Intervention“.  Und da die Diskussion, zu der ich beitragen möchte, ja überhaupt die ganze hier berührte Problematik, bei weitem nicht nur Wissenschaftler betrifft, sondern auch eine Vielzahl anderer gesellschaftlicher Rollen vom Politiker bis zum Journalisten, ist dieser Text auch so geschrieben, dass jeder, der sich auf eine anspruchsvolle Denkarbeit einlassen will, ihm folgen und sich mit ihm auseinandersetzen kann.

Auch das ist übrigens – in meiner Sicht – etwas ausgesprochen Philosophisches. Fast ausnahmslos alle Philosophen, von denen bis heute unsere Diskurse und Praktiken profitieren, von den griechischen Klassikern bis zur Moderne, haben ihre Denkarbeit mitten aus der Gesellschaft heraus geleistet und für alle ihre interessierten Vertreter, mögen sie dabei auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sein. Diese Art des „eingebetteten praxisrelevanten Nachdenkens“ möchte ich gerne wiederbeleben. Die in der heutigen Philosophie verbreitete Selbsteinschätzung als eine akademische Wissenschaft halte ich für einen Fehler oder zumindest doch für eine unnötige Verengung.

Erkenntnis 01
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Und was soll nun das Wort „Erkenntnis“ bedeuten? Was soll Erkenntnis sein? Wie schon oben gesagt: nicht dasselbe wie „Wissen“. Alles Wissen ist Erkenntnis, aber nicht alle Erkenntnis ist Wissen. Es gibt zahlreiche Arten von Erkenntnis, und zwar insbesondere von wissenschaftlicher Erkenntnis, die eben kein Wissen sind. Oder die es in der hier entwickelten Denkweise nicht sein sollen.

Wir müssen uns also darüber verständigen, was wir hier unter „Erkenntnis“ verstehen wollen. Ein Wort bedeutet ja immer nur das, was man unter ihm versteht.

Er-Kenntnis: Die Vorsilbe „er-“ deutet darauf hin, dass hier etwas beginnt oder etwas erreicht wird, wie bei „Er-Arbeitung“ oder „Er-Schöpfung“. Wird das Kennen von etwas erreicht? So könnte man versuchen, sich der Sache zu nähern.

Oder man schaut auf die Ideengeschichte. „Erkenntnis“ erfüllt im Deutschen ungefähr die Rolle, die epist im Griechischen hatte. Zwar wird epist oft ebenfalls mit „Wissen“ übersetzt, aber andererseits reden wir von Epistemologie und meinen damit „Erkenntnistheorie“, nicht aber „Wissenstheorie“. Hier macht sich bereits der feine Unterschied bemerkbar, den wir weiter ausbauen wollen.

Oder man schaut zeitlich etwas näher, bei Michel Foucault. Bei ihm sind „Episteme(n)“ Wissensordnungen oder, wie er es nennt, Dispositive, die es erlauben, aus allen Aussagen die „akzeptablen“ (und damit als „wahr“ deklarierbaren) herauszufiltern.1 Ist Erkenntnis also schlicht das, was innerhalb einer spezifischen Erkenntnisordnung als gültig akzeptiert wird? Auch das wäre eine mögliche Annäherung an den Erkenntnis-Begriff. Allerdings betrachtet Foucault derartige Wissens- oder Erkenntnisordnungen vor allem als ein Resultat von Machtausübung, während unser gesuchter Erkenntnis-Begriff an eine komplexe Wirklichkeit gebunden sein soll, in der Macht zwar eine Rolle spielt, die aber nicht durchgehen von ihr bestimmt wird.

Vielleicht möchte man aber auch einfach von den alltäglichen, „handelsüblichen“ Denkfiguren ausgehen. Dann könnte man etwas sagen wie: Erkenntnis ist, zu verstehen oder herauszubekommen, wie es wirklich ist oder wie die Dinge wirklich sind. Die Einsicht, dass die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt oder die Einsicht, dass alle Lebewesen im Laufe der Evolution auseinander hervorgegangen sind und nicht unabhängig voneinander erschaffen wurden, wäre dann jeweils eine Erkenntnis

Das klingt erst einmal überzeugend, denke ich. Allerdings hat eine solche Charakterisierung einen großen Haken: Sie verwischt die Unterscheidung zwischen Erkenntnis und Wissen, die wir aber doch gerade herausarbeiten wollen. Das liegt daran, dass sie auf das Verb „sein“ rekurriert („wie die Dinge wirklich sind“). Sein ist ein hochgradig tückischer sprachlicher und kognitiver Operator, da er die Dimensionen Wirklichkeit und Gültigkeit fast untrennbar miteinander verschmilzt und innerhalb dieser Dimensionen kaum weitere Differenzierungen erlaubt. War das verständlich so? Falls nicht: Wir kommen später noch genauer auf diese Problematik zurück. Wir müssen uns über die verschiedenen Bedeutungsnuancen von „etwas ist so oder so“ sehr genau klar werden.

Dennoch, die Idee, dass Erkenntnis etwas damit zu tun hat, die Wirklichkeit zu erfassen (eben die Wirklichkeit, „wie sie wirklich ist“), sollten wir weiter im Hinterkopf behalten. Sie markiert das Standard-Verständnis von „Erkenntnis“ in unserer Erkenntniskultur, und von dem sollten wir auch ausgehen, wenn wir den Erkenntnisbegriff schärfen und modernisieren wollen.

Ich möchte jetzt aber noch eine andere, vorläufige Charakterisierung von „Erkenntnis“ ins Spiel bringen – eine, die sich von vornherein am Anspruch des Modernisierens oder Zeitgemäß-Machens unserer Vorstellung von Erkenntnis orientiert. Ähnlich wie die Foucault’sche Variante (Erkenntnis als das, was in einer konkreten gesellschaftlichen und historischen Konstellation als gültig erachtet wird) hat sie einen gewissen zirkulären „touch“, sie bindet den Erkenntnisbegriff aber nicht an schwer objektivierbare Machtstrukturen, sondern bleibt viel näher bei der klassischen Idee der „sachlichen“ Wirklichkeits-Erfassung. Die Charakterisierung, die ich meine, lautet: Erkenntnis (jedenfalls wissenschaftliche Erkenntnis) ist das, was die Wissenschaften hervorbringen.

Ist damit überhaupt etwas Gehaltvolles, Substanzielles gesagt? Tatsächlich verzichtet diese Formel ja weitgehend auf den Versuch, Erkenntnis anhand inhaltlicher Kriterien zu bestimmen. Sie stellt stattdessen darauf ab, wie Erkenntnis zustandekommt, gewissermaßen auf ihre Produktionsbedingungen. Diese lassen sich immerhin recht gut untersuchen, denn sie sind nichts anderes als die wissenschaftlichen Prozesse, die Funktionsweisen der pluralen Wissenschaften selbst2. Ein solcher Rekurs auf die Wissenschaften (und nicht, wie bei Foucault, primär auf die Machtkonstellationen) erlaubt es auch, wie wir später sehen werden, den Erkenntnisbegriff in ein stabiles Netzwerk von begrifflichen und methodischen Bezügen einzubinden und damit auch die zunächst möglicherweise bedrohlich erscheinende Zirkularität weitgehend aufzulösen.

Und überhaupt, so etwas gibt es doch häufiger, oder? Dass etwas dadurch definiert ist (oder charakterisiert ist), als Resultat (oder Produkt) von etwas anderem zu entstehen?

Programm 01
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Doch zunächst dazu, was Sie, wenn Sie dies lesen, hier konkret inhaltlich erwartet. Was kann ich Ihnen Interessantes oder Neues anbieten? Wie unterscheidet sich mein Ansatz von dem, was in anderen Diskussionen zum Thema Wissenschaft und Gesellschaft verhandelt wird? Und wie von dem, was man, auch wenn man derartige Diskurse nicht aktiv verfolgt, vielleicht sowieso in seinem Kopf bewegt?

Den schnellsten Zugriff auf das Textprogramm bekommt man vermutlich über zwei Ideen. Für die eine gibt es keinen offiziellen Namen (obwohl sie äußerst weit verbreitet ist), die andere ist der Relativismus. Der Relativismus sagt: Es gibt keine Wahrheiten, jedenfalls keine absoluten. Es gibt nur Sichtweisen und Interpretationen. Dem einen mag X so erscheinen, dem anderen anders; der eine mag Y richtig finden, der andere falsch. Es ist alles eine Sache der Perspektive und oft genug auch der eigenen Interessen.

Ein Schlüsselwort zur anderen Idee ist eben bereits gefallen („jedenfalls keine absoluten“), nennen wir sie: Absolutismus. Im Gegensatz zum Relativismus geht der Absolutismus davon aus, dass es zu einem gegebenen Problem in der Regel eine einzige, objektiv oder absolut wahre Antwort oder Lösung gibt – man muss sie nur finden. Die Gleichwertigkeit verschiedener Perspektiven, die der Relativismus propagiert, lehnt der Absolutismus ab. Für ihn gilt: Was zu etwas, dessen Richtigkeit etabliert ist, im Widerspruch steht, kann nicht „anders richtig“ sein – es ist schlichtweg falsch, und Punkt.

Beide Ideen sind plausibel, und beide werden breit praktiziert. Ich denke, ich persönlich kenne ebensoviele Absolutisten wie ich Relativisten kenne (vermutlich mehr). Aber bei aller vermuteten statistischen Gleichverteilung sind die beiden Ideen auch unvereinbar miteinander. Zugleich Relativist wie auch Absolutist zu sein, scheint mehr oder weniger unmöglich.

Andererseits liegt auf der Hand, so denke ich zumindest, dass bei diesen Ideen gilt: „es kommt drauf an“ – nämlich auf den konkreten Anwendungsfall. Bei physikalischen Problemstellungen etwa sind relativistische „alternative Wahrheiten“ eher selten zu erwarten. Bei politischen Angelegenheiten – und vielleicht auch bei politikwissenschaftlichen? – hingegen, oder, sagen wir, auch bei kulturwissenschaftlichen, wird man kaum jemals die eine, absolute Wahrheit ausfindig machen können. 

Aber wie erkennt man im konkreten Fall, welche der beiden Ideen wo passt? Und wie verfährt man in den komplexen Hyperproblematiken unserer Tage, von KI über Pandemien bis Klima oder Gender, bei denen die verschiedensten Wissenschaftsgattungen untrennbar miteinander verschränkt sind? Und wie schafft man es schließlich, in einem einzigen Kopf (nämlich seinem jeweils eigenen) beide Ideen, die sich ja erst einmal „wie Hund und Katze“ zueinander verhalten, ein einer kooperativen, situations- und problemangemessenen Weise miteinander zum Funktionieren zu bekommen?

Natürlich ist in dieser Darstellung alles maximal, sozusagen bis zur Schmerzgrenze vereinfacht. Andererseits müssen wir uns wohl eingestehen, dass unsere Kognition tatsächlich von derartigen simplen Ideen-Schemata wenn nicht bestimmt, so doch aber von ihnen stark beeinflusst oder – oft von uns selbst unbemerkt – dirigiert wird.

Exkurs (einklappbar, überspringbar): Realismus, Konstruktivismus, Transfer-Resistenz

Im philosophischen Fachdiskurs wird ein ähnliches Problem mit etwas anderer Akzentsetzung verhandelt. Es geht dann um das Verhältnis von Realismus (oder, nicht gleichbedeutend, jedoch verwandt: Empirismus) auf der einen, Konstruktivismus auf der anderen Seite – wobei auch diese Gegenüberstellung eine hochkomplexe, kleinteilige Debatte, die sich inzwischen über mehr als 100 Jahre erstreckt, über Gebühr vereinfacht.

Realistische Positionen gehen davon aus, dass die Welt „da draussen“ im Erkenntnisakt, insbesondere im wissenschaftlichen Prozess, auf die eine oder andere Weise erfasst und geistig, sprachlich oder mathematisch abgebildet wird. Eine klassische Metapher des Realismus ist die vom „Buch der Natur“, das die Wissenschaft nach und nach besser zu lesen lernt. Die Metapher lässt sich auch erweitern auf andere Untersuchungsgegenstände, wie die menschliche Psyche oder die Gesellschaft. Welche Denkschulen oder Autoren aus der Wissenschaftstheorie man zum Realismus zählen will, ist, wie vieles in der Philosophie, auch immer wieder strittig. Als über die Fachkreise hinaus besonders wirkungsvoller Autor sei hier aber einmal Karl Popper und sein Falsifikationismus genannt (der allerdings in der heutigen, hochdifferenzierten Theorie-Diskussion eine vor allem historische Bedeutung hat).

Während der Realismus oft eine Nähe zur Physik oder zu anderen Experimentalwissenschaften aufweist, liegen die Wurzeln des Konstruktivismus in der Wahrnehmungspsychologie und später in den Kognitionswissenschaften. Konstruktivisten glauben nicht an das „Abbild der Wirklichkeit in unserem Kopf“ – sie wenden ein, dass unser Geist seine eigene innere Wirklichkeit generiert, und dass dafür die Phänomene der Außenwelt nur den Anlass liefern. Auch diese Denkfigur wird auf die wissenschaftliche Erkenntnis übertragen, die dann alles andere als objektiv erscheint: Wissenschaftliche Erkenntnis, würde ein Konstruktivist sagen, ist ein weitgehend autonomes Produkt unserer Kognition, überformt von den sozialen Bedingungen, unter denen sie erarbeitet wird. Um auch hier wieder einen Namen zu nennen: Bruno Latour etwa wäre ein Vertreter eines wissenschaftssoziologischen Konstruktivismus, der mit seinen Beiträgen zur Actor-Network-Theorie auch weit über die Fachgrenzen hinaus Einfluss gehabt hat.

Wozu dieser Exkurs? Weil es im Verhältnis zwischen fachlicher Theoriebildung und öffentlicher Debatte zwei symptomatische Beobachtungen zu machen gibt. Die erste ist die, dass gewisse Grundfiguren oder Paradigmen aus den Fachdiskursen im öffentlichen Diskurs durchaus große Wirksamkeit entwickelt haben: So dürften etwa beide der oben genannten Namen, Karl Popper und Bruno Latour, mehr oder weniger jedem in der „intellektuellen Öffentlichkeit“ ein Begriff sein, und wenn nicht die Namen selbst, so doch die mit ihnen verbundenen Theorieansätze.

Die zweite Beobachtung ist aber eigentlich viel aussagekräftiger. Sie lautet: Im Fachdiskurs ist die Vermittlung zwischen diesen beiden, hier zugegebenermaßen ein wenig im Handstreich präsentierten Polen Realismus und Konstruktivismus, längst geschehen. Sie ist verbunden mit Namen wie Susan Haack (Foundherentism3), Hasok Chang (pluraler Realismus4) oder Bas van Fraassen (konstruktiver Empirismus5), andere ließen sich leicht hinzufügen (etwa der Social Empiricism von Miriam Solomon, auf den wir im Zuge der Thematik „wissenschaftlicher Konsens/Dissens“ noch zurückkommen werden, aber auch manche deutschsprachige Autoren)6.

Diese Theorien gehören weder zum Realismus noch zum Konstruktivismus oder wahlweise zu beidem zugleich, und sie bieten flexible epistemologische Zugriffe auf die verschiedensten Arten von Wissenschaften und ihre jeweils sehr unterschiedlichen Klassen von Erkenntnissen. Von den Denkern, die sie erarbeitet haben, weiß man allerdings, wage ich zu behaupten, in der Öffentlichkeit (im medialen Diskurs) nichts. Geschweige denn von ihren Theorien.

Wie kann das sein? Gerade dort, wo Wissenschaft tatsächlich politisch und gesellschaftlich verhandelt wird, fehlt das theoretische Rüstzeug, um eine breit aufgefächerte, verschiedenste Wissenschaften und verschiedene epistemologische Meta-Positionen integrierende Diskussion überhaupt möglich zu machen. 

Sind die Theorien jenseits der Kluft zwischen Realismus und Konstruktivismus – ich will sie einmal die hybriden Theorien nennen – dafür zu neu? Sind sie sozusagen noch nicht in den öffentlichen Diskurs eingesickert oder wurden noch nicht dorthin „transferiert“? Oder sind sie – immerhin müssen sie eine beträchtliche konzeptuelle Arbeit leisten, um die „unvereinbaren“ Ausgangstheorien unter einen Hut zu bekommen – schlicht zu schwierig, zu kompliziert, um überhaupt außerhalb der Fachwelt vermittelbar zu sein und dort Fuß zu fassen?

Mein Take dazu ist, dass am ehesten das zweite der Fall ist. Diese Theorien sind zwar außerordentlich leistungsfähig, up-to-date und für die fachliche Rezeption wertvoll, aber sie sind an „normale Menschen“ so gut wie unvermittelbar: sie sind Transfer-resistent. Jeder kann zwar, überspitzt gesagt, denken wie Karl Popper, und viele können es auch mehr oder weniger à la Bruno Latour. Aber keiner kann denken, jedenfalls im gesellschaftlichen epistemischen Alltag nicht, wie Susan Haack oder wie jemand anders aus den oben genannten.

Und so klafft unsere Öffentlichkeit weiter auseinander in (populär-)Realisten und (populär-)Konstruktivisten, die von völlig unterschiedlichen Dingen reden, Wissenschaft auf völlig unterschiedliche, jeweils für sich genommen schmerzlich unzureichende Teilaspekte reduzieren und die miteinander, versteht sich, sowieso in kein produktives Gespräch kommen können. Und das übrigens bis in die Fachkreise derer hinein, die es anders wissen müssten, der Wissenschaftsjournalisten, Wissenschaftskommunikatoren, Wissenschaftsinfluencer und öffentlich auftretenden Wissenschaftler selbst.

Das ist fatal. Was soll man da tun? Es so hinnehmen? Noch mehr Wissenschaftskommunikation betreiben, nun auf der Meta-Ebene? Susan Haack, Bas van Fraassen, Hasok Chang und alle die anderen so „herunterbrechen“, dass „die Leute“ sie verstehen, und darauf hoffen, dass sie sie überhaupt verstehen wollen?

Ich halte das für aussichtlos. Die Theorien würden es nicht überstehen. Sie würden bei einem derartigen Popularisierungsversuch schlicht zerstört. Sie tragen kein Patentrezept in ihrem Kern, so wie Realismus („einfach mal nachschauen, wie es wirklich ist“) oder Konstruktivismus („einfach mal ausgehen davon, was wir selbst so machen“), das diesen „Transfer“ überstehen würde. Sie sind raffinierte, subtile Elaborate, die sich nicht auf eine griffige Formel bringen lassen und bei denen es einer immensen Kenntnis der Debatten und der Begriffswelten bedarf, aus der sie hervorgegangen sind, um sie überhaupt angemessen verstehen, geschweige denn erfolgreich anwenden zu können.

Und was ja noch dazu kommt: Jede Gesellschaft ist ein politischer Raum, und politische Räume organisieren sich vorzugsweise nach Gegensätzen. Realisten und Konstruktivisten, Absolutisten und Relativisten (was miteinander in vielem korreliert) brauchen einander, und zwar als jeweils andere, als Gegner. Sie haben, jedenfalls solange sie Politik als das Durchsetzen ihrer jeweiligen Agenden verstehen, gar kein Interesse an einer vermittelnden, noch dazu komplizierten und wenig volksnahen Mittelposition.

Nein, mein Vorschlag ist, es anders anzugehen. Und zunächst einmal eines als gegeben anzusehen: Die Öffentlichkeit denkt nicht in Theorien. Sie denkt in Heurismen. Sie peilt über den Daumen, mit Daumenregeln.

Aus Popper oder Latour lassen sich solche Daumenregeln extrahieren, weil sie selbst – ein wenig unter der Hand – ihr Denken von ihnen aus beginnen. Bei allem, was ohne sloganhafte Denkfiguren auskommen muss, gelingt das nicht.

Die Strategie des öffentlichen Denken muss also eine andere sein: Man muss direkt mit den Heurismen arbeiten. Man muss solche Denkfiguren erschaffen, die an sich, von vornherein, so einfach sind, so schlicht, in einem wertfreien Sinn, dass der öffentliche, der mediale Mensch, in der wenigen Zeit, die ihm für so etwas zur Verfügung steht, mit ihnen erfolgreich umgehen kann. 

Solche Heurismen lassen sich nicht aus komplizierten Theorien re-engineeren. Sie können nur originär developed werden. Informiert und inspiriert durch die raffinierten fachlichen Theoriebildungen, aber inhaltlich und funktional unabhängig von ihnen, mit einer eigenständigen „Technik“. Oder, anders ausgedrückt: Wir sollten nicht versuchen, die Fachphilosophie in die Gesellschaft zu „transferieren“. Sondern wir sollten unmittelbar an der Schnittstelle zwischen Fachdiskurs und öffentlichem Diskurs neu philosophieren.

Und damit sind wir wieder beim eigentlichen Thema dieses Kapitels: beim heuristischen Multitool, das Absolutismus (die heuristische Variante des Realismus) und Relativismus (die heuristische Variante des Konstruktivismus) in einen Funktions- und, nicht weniger wichtig hier, in einen Gebrauchszusammenhang bringen muss. Solch ein Tool, so lautet die Wette, wird zwar auch noch komplizierter sein als ein popularisierter Primitiv-Realismus oder -Konstruktivismus, aber, wenn es gut designt ist, nur um so viel, wie eben auch unsere Wirklichkeit im Lauf der letzten Jahrzehnte komplizierter geworden ist, so dass es handhabbar und akzeptierbar bleibt. Und natürlich wird es, wie alle Heurismen, Fehler produzieren – jedoch weniger, als dies die übersimplifizierten, die Erkenntniswelt auf ihre primitiven Nenner herunterbrechenden Einzel-Ideen tun. 

Wie es um den politischen Aspekt eines solchen Multitools bestellt sein könnte, ist dann noch eine eigene Überlegung wert. 

Absolutismus wie Relativismus sind keine ausgefeilten Erkenntnis-Strategien. Aber sie sind Erkenntnis-Daumenregeln, Heuristiken, mit deren Hilfe wir uns grobe, schnelle Orientierung verschaffen. Derartige Heuristiken sind ein wichtiges Element im Toolkit unserer jeweiligen Erkenntniskultur – eben jenem Toolkit, den dieser Text verändern und verbessern will.

Eines meiner Ziele in diesem Text ist es, zu zeigen, wie man die beiden Ideen Absolutismus und Relativismus zu einem gemeinsamen heuristischen Apparat, einem flexiblen epistemischen „Multitool“ verbinden kann, so dass man sich selbst bei grober, schneller Orientierung in einer Angelegenheit besser zurechtfindet. Was heisst: Nicht der Versuchung erliegt, sich nur von einer der beiden Ideen leiten zu lassen.  Und dadurch weniger Erkenntnisfehler produziert, sich besser und produktiver – und dennoch kontrovers – über wissenschaftliche oder politische Fragen verständigen kann und als Gesellschaft bessere, von möglichst vielen Menschen nachvollziehbare Entscheidungen treffen kann.

Das ist allerdings bei weitem noch nicht das ganze Programm. Ein epistemischer Werkzeugkasten, wie ich ihn hier konzipiere, besteht aus wenigstens drei Komponenten: Konzepten, Logiken und Heuristiken. Und wir haben bisher nur von einer unter ihnen geredet.

Was also erwartet Sie, die anderen Werkzeuggruppen, also die Konzepte und die Logiken betreffend?

Was die Konzepte (oder eben Terminologien) angeht, ist das zunächst ein Wort für Erkenntnis, die nicht Wissen ist.

So ein Wort muss, ganz genau wie „Wissen“ selbst, sowohl als Substantiv („das Wissen“) wie auch als Verb fungieren können („wir wissen“, „ich weiss“ usw.). Bevor man eine konkrete Vokabel ins Spiel bringt, muss man sich aber genauer mit der Funktionsweise des üblichen epistemischen Vokabulars – Wissen, Erkenntnis, Meinen, Glauben usw. – befassen, und zwar spezifisch vor dem Hintergrund der aktuellen Wissenschaften und der medialen Repräsentation ihrer Ergebnisse. Erst dann kann der angestrebte Bedeutungsgehalt überhaupt umrissen werden.

Nur so viel sei gesagt: Ich möchte eine Wort-Wurzel neu aktivieren, die grob bereits die nötigen Bedeutungen mit sich bringt, die aber andererseits so ungebräuchlich und unvertraut ist, dass sie leicht mit neuen Funktionalitäten aufgeladen werden kann. Sie wird das Rohmaterial bereitstellen für unseren neuen Begriff „nichtwisslicher“ Erkenntnis.

Dabei wird es aber nicht bleiben, auch terminologisch nicht. Denn Wissen ist in unserer Erkenntniskultur in ein überaus stabiles Dreieck aus überaus mächtigen Begriffen / Ideen eingeordnet, ein Dreieck, das aufbrechen zu wollen aussichtslos wäre und noch dazu nicht einmal besonders nützlich. Wir sollten es ruhig bestehen lassen, allerdings um einige Anbauten ergänzen. Dies ist das Dreieck aus Wahrheit – Wissen – Wirklichkeit (kurz: W-W-W-Dreieck). Man ahnt: Wie ein Eisberg ragt es tief in unsere allerfundamentalsten Konzeptionen hinein von der Welt und von uns selbst. An diesem Dreieck Manipulationen auszuführen, und seien es auch nur anbauende, ergänzende, ist keine leichtzunehmende Angelegenheit. Aber genau das werden wir tun.

Wir werden ein ergänzendes Konzept zu „Wahrheit“ entwerfen und ein ergänzendes zu „Wirklichkeit“. Wir werden uns mit der Frage auseinandersetzen, warum etwas gelten kann, wenn es nicht aufgrund seiner Wahrheit gilt (aber auch nicht nur, weil jemand es mit Macht durchgesetzt hat), und auf welche verschiedenen Weisen etwas überhaupt wirklich sein kann (denn die Geltung von Erkenntnissen muss, oder soll, immer aus der Wirklichkeit abgeleitet werden, und nicht, sagen wir, seine Legitimation auf ein gedankliches Luftschloss zurückführen wollen).

Terminologisch erwartet uns also einige Grundlagenarbeiten, oder, um im Bild des Werkzeugkastens zu bleiben, die Aufgabe, einige extrem leistungsfähige, mächtige Instrumente herzustellen oder dies zumindest zu versuchen. Denn auch ein Scheitern dieses Programms muss man in Betracht ziehen: damit wäre allerdings nichts verloren, sofern von ihm Inspirationen ausgehen, die bestehende Erkenntniskultur auf eine andere Weise, als ich es hier versuchen werden, umzudenken, sie zu revidieren und „auf Stand zu bringen“.

Fast noch tiefer in den Innereien unserer Kognition findet der Eingriff statt, den ich im Bereich der Logik vornehmen beziehungsweise vorschlagen möchte. Hier wird es darum gehen, einen logischen Operator zu gestalten, der die Funktionen von „und“ und von „oder“ (genauer: von entweder-oder) auf eine spezifische Weise in sich vereint. Dieser Operator muss in mancher Hinsicht ein paradoxer sein, und das heißt, er widersetzt sich einer zentralen Anforderung unserer klassischen, im Alltag wie in der Wissenschaft tief verankerten Logik: dem Satz vom Widerspruch.

Es ist sicherlich ein widerspenstiger Operator, und ihn in sein persönliches Denken zu integrieren eine harte Herausforderung. Aber der dabei abfallendeder Gewinn kann sich, behaupte ich, sehen lassen. Zudem muss man nicht von Null beginnen, denn der Weg für einen solchen paradoxen Operator ist längst gebahnt, sogar auf mehrfache Art und Weise. Hierzu an dieser Stelle nur ein Stichwort, dasjenige der parakonsistenten  (als neben dem konsistenten, widerspruchsfreien Schließen angesiedelten) Logik. Derartige Logik-Spielarten wurden über die vergangenen Jahrzehnte von Graham Priest (u.a. Universität Melbourne) und anderen Logikern detailliert ausgearbeitet.  Sie haben, dies sei noch angemerkt, Parallelen und Vorläufer in einigen fernöstlichen, insbesondere buddhistischen Logik-Traditionen.

So viel bis hierhin zum Programm. Bei jeder der anstehenden Werkzeug-Entwicklungen, gehe es nun um Logiken, Terminologien oder Heuristiken, werden wir uns parallel auch bereits um Anwendungsfälle und natürlich um gesellschaftliche und politische Auswirkungen Gedanken machen. Ziel ist also nicht nur eine Theorie, sondern ein kleiner Blick voraus auf eine mögliche Welt, in der mit einem besseren kognitiven Instrumentarium ein besserer Umgang mit Erkenntnis praktiziert würde.

Wissenschaften 01
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Zeit, den nächsten Zentralbegriff in den Fokus zu rücken: die Wissenschaften. Und dieses Wort muss unbedingt im Plural stehen.

Leider wird ja auch gerne von der Wissenschaft im Singular geredet (wie in „Follow the Science“). Nun gut, man kann das tun, umgangssprachlich. Sofern man dabei im Sinn behält, dass es sich um einen Sammelbegriff handelt, ein Kollektivum. Um etwas wie „die Kleidung“ oder „die Fauna“. Deren einzelne Vertreter sich voneinander ja sehr grundlegend unterscheiden können – so deutlich wie, sagen wir, ein Hut von einem Strumpf oder ein Storch von einem Seeigel.

Gibt es denn überhaupt etwas, das alle Wissenschaften vereint oder sie zumindest untereinander verbindet? – Da sind wir inmitten einer so intensiv wie endlos geführten Diskussion, die sich kaum irgendwie überblicken lässt.

Ist es eine bestimmte Methodik, was die „Wissenschaftlichkeit“ ausmacht? Ist es das wissenschaftliche Experiment? Oder allgemeiner das Forschen? Eine spezifische Logik oder Rationalität oder Systematizität des Herangehens? Die Kritik und Überprüfung durch Fachkollegen? Allgemein Überprüfbarkeit – durch was oder wen auch immer? Oder Replizierbarkeit? Oder allgemein Gelehrsamkeit? Oder ein bestimmtes Textformat, Idiom, gar ein Jargon?

Oder kommt Wissenschaftlichkeit durch eine bestimmte Haltung der Forschenden zustande? Weil sie bestimmten Idealen folgen? Sind Wissenschaften in erster Linie eine bestimmte soziale Praxis? Historisch entstanden, als Institution stabilisiert und sich dabei stetig weiter verändernd? Und in welchem Licht lässt das dann ihre Ergebnisse dastehen – wie unabhängig können sie von ihrem sozialen Kontext sein? Und wäre denn eine solche Unabhängigkeit wünschenswert? Kann Wissenschaft denn überhaupt unparteiisch, unpolitisch sein? Aber wäre es nicht andererseits absurd anzunehmen, dass etwa ein mathematischer Beweis von politischen oder gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst wird?

Was liefern Wissenschaften überhaupt? „Erkenntnisse“, haben wir gesagt, aber wie kann man das genauer auffächern? Sind Erkenntnis Erklärungen dafür, warum etwas so oder so ist oder vonstatten geht? Sind es Beobachtungen, Dokumentation, Daten? Prognosen? Beweise? Modelle, Theorien? Hypothesen? Konstrukte, womöglich Spekulationen? Gar nur („nur“?) Denkanstöße, Inspirationen? 

Und liefert Wissenschaft Wahrheit? Wenn nicht, strebt sie Wahrheit wenigstens an? Tut das jede Wissenschaft? Und lässt sich eigentlich alles wissenschaftlich untersuchen? Auch die Wissenschaft(en) selbst? Und sollen Wissenschaften sich nur darum kümmern, was ist? Oder auch darum, was sein sollte? Lässt sich das überhaupt voneinander trennen? In welchen Fällen ja, in welchen nein? 

Und welche Disziplinen sind überhaupt Wissenschaften? Ist die Medizin eine Wissenschaft? Oder ist sie eine Therapiepraxis? Oder etwas von beidem? Wie ist es mit der Rechtskunde? Kann eine Disziplin, die praktische Konflikte anhand menschlich gesetzter Normen entscheidet, sinnvoll als „Wissenschaft“ bezeichnet werden?7 Was ist übrigens mit der Philosophie? Viele Philosophen reden von ihrer „Forschung“, aber ist es nicht eher so, dass sie etwas entwerfen oder erfinden?8 Und kann es denn sein, dass wissenschaftliche Ergebnisse einander widersprechen, wie es oft in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften der Fall ist? Heisst das dann nicht, dass jeweils ein Ergebnis wahr sein muss, das andere unwahr? (Spoiler: nein, heisst es nicht.)

Für jeden dieser Punkte, und zweifellos auch noch für viele andere mehr, wird man jemand finden, der ihn vertritt. Jemand, der versucht, mit seiner Hilfe zu erfassen oder zu definieren, was Wissenschaft(lichkeit) ist oder was sie sein soll. In den meisten Fällen mit durchaus wissenschaftlichem Anspruch (wie auch immer der sich im konkreten Falle dann äußert). Was zu einer Schwemme von „-ismen“ innerhalb der Theorien über die Wissenschaften führt, wie Empirismus, Rationalismus, Funktionalismus, Kritizismus, Konstruktivismus etc., die einander im Regelfall gegenseitig als völlig falsch betrachten. Etwas wie ein Konsens ist nicht zu erwarten.

Was Wissenschaft(lichkeit) nun ist, wissen wir davon immer noch nicht. Oder was sie sein soll. Denn natürlich ist Wissenschaft(lichkeit) nicht einfach so „da“, sondern wir entscheiden, was unter diesen Begriff fallen soll und was nicht, und auch da können die Vorstellungen auseinandergehen und die Kriterien sich verändern. Im Mittelalter etwa hat man den Begriff „Wissenschaft“ (scientia) ganz anders verwendet, als man das heute tut. Im Mittelalter hieß Wissenschaft, grob gesagt (sehr grob), ein Phänomen gemäß der vier aristotelischen „Ursachen“ zu untersuchen, der materialen, formalen, bewegenden (wirkenden) und finalen (angestrebten) Ursachen – plus rationale Logik im Sinne von Denkkunst und Argumentation. In diesem Sinne ließ sich auch die Theologie als Wissenschaft betreiben. Geht das auch heute noch?

Wo die -ismen derart unvereinbar überborden, finde ich es legitim, einen persönlichen Favoriten ins Spiel zu bringen, der weitgehend ohne sie auskommt beziehungsweise sie unsichtbar-elegant integriert: Holm Tetens. Der Wissenschaftstheoretiker von der FU Berlin (2015 emeritiert) hat einen Katalog aus fünf „Idealen“ zusammengestellt, die in allen Wissenschaften, so fasst er es, verfolgt oder in unterschiedlicher Weise realisiert werden: Wahrheit, BegründungErklärung und VerstehenIntersubjektivität und Selbstreflexion.9

Ich möchte diesen Katalog hier nicht im Detail diskutieren – bei aller grundsätzlichen Zustimmung habe ich auch einige Einwände. Er macht aber in jedem Falle eines sehr gut deutlich: Nämlich, dass derartige Ideale in den unterschiedlichen Wissenschaften jeweils sehr unterschiedlichen Stellenwert haben können. 

Etwa können in einigen Wissenschaften, sagen wir, Intersubjektivität und Selbstreflexion eine große Rolle spielen, Wahrheit aber nur eine kleine (oder nur eine „regulatorische“ – Wahrheit würde zwar angestrebt, könnte aber nie erreicht werden). In anderen Wissenschaften könnte es genau umgekehrt sein. Wenn man sich das vor Augen hält, dann hat man schon einen Eindruck davon, wie verschieden die Erkenntnisarten sein können, die unterschiedliche Wissenschaften hervorbringen.

Und noch etwas würde ich gern von Tetens ausleihen mit einem großen Dank, nämlich die Metapher vom Zoo. „Der Wissenschaftsbetrieb“, schreibt er, „ist ein Vielfächerzoo.“ – Wir erinnern uns an den obigen Vergleich mit der „Fauna“, die aus kaum miteinander vergleichbaren Lebewesen besteht.

Übrigens: Auch Wittgensteins Konzept der Familienähnlichkeiten hat hier seinen Platz. Etwa gehören alle Spiele – „Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele, usw.“, – so Wittgenstein, zu einer „Familie“, weil zwischen zwei beliebigen von ihnen immer in irgendeiner Hinsicht Ähnlichkeiten zu entdecken sind, in der Art, wie manche Familienmitglieder eine ähnliche Nase, andere hingegen zum Beispiel eine ähnliche Stimme haben. Das eine Kriterium, das eine gemeinschaftliche Tätigkeit zwangsläufig zu einem Spiel machen würde, gibt es aber nicht.10 Ein anderes Beispiel für derartige nicht-hierarchisierbare Taxonomien wäre „der Sport“ beziehungsweise die verschiedenen Sportarten. Und noch ein anderes passendes Wort hier wäre: Cluster.

Wie auch immer man es konzeptuell fassen möchte: Wissenschaft ist etwas Plurales.11 Und diese Pluralität bringt es mit sich, dass ständig von Neuem darüber diskutiert werden muss, was denn nun „innerhalb“ des Begriffes liegt und was „außerhalb“, was „echte“ Wissenschaft ist, was nicht – ohne, dass man eine dauerhafte Lösung erwarten dürfte.12

Holm Tetens schreibt weiter über den „Vielfächerzoo“ der Wissenschaften: „Wie in realen Zoos geht es nicht nur friedlich in ihm zu. So wie im Zoo Tiere, würden sie nicht sorgsam durch Gitter voneinander getrennt, sich wechselseitig ihren Platz streitig machen, so bestreiten auch manche Wissenschaften anderen, dass sie überhaupt zu den Wissenschaften gehören.“13 Und erwähnt als Beispiel den Graben zwischen Natur- und Geisteswissenschaften und die Animositäten, die über ihn hinweg ausgetragen werden.

Ja, sind die Geisteswissenschaften denn überhaupt Wissenschaften? Fragen Sie mal einen (klassischen, experimentellen) Physiker dazu. Er wird wohl skeptisch antworten, wenn nicht schlimmer.

Aber sie bringen Erkenntnisse hervor. Das dürfte unstrittig sein – hoffe ich zumindest.

Sind diese Erkenntnisse Wissen? Und wenn sie eine Gültigkeit haben, sind sie gültig qua Wahrheit

Sie ahnen, worauf ich hinauswill, auch wenn mir (uns) zu diesem Zeitpunkt noch die Worte fehlen, um in unserem Geist konkrete positive Vorstellungen des Gemeinten erstehen zu lassen. Bisher können wir es nur negativ sagen: Die Erkenntnisse der Geisteswissenschaften scheinen wohl in den meisten Fällen eher kein Wissen zu sein – sondern etwas anderes –, und wären sind dann gültig nicht qua Wahrheit, sondern auf andere Art und Weise. 

Wobei man die Unterteilung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften natürlich auf keinen Fall zu ernst nehmen sollte. Gerade in unserer Epoche der hybriden, ineinander verwickelten Hyperproblematiken nicht, von KI über Gender bis Klima, bei denen jeweils die verschiedensten Wissenschaftsarten miteinander wechselwirken und ihre Erkenntnisprojekte ineinander verstrickt sind. Bei den allermeisten solcher komplexer Angelegenheiten, zu denen wir Erkenntnis erlangen wollen, spielen geistes- und naturwissenschaftliche Ansätze zugleich eine Rolle. Zudem kommt keine eine Naturwissenschaft ohne ein gewisses Maß spekulativer, theoretischer Axiome aus und kaum ein geisteswissenschaftliches Forschungsprojekt kann auf naturwissenschaftlichen oder doch wenigstens empirischen Input verzichten.

Dennoch ist eine provisorische Unterscheidung der Erkenntnisarten entlang der Trennlinie zwischen Natur- und Geisteswissenschaften nicht gänzlich nutzlos. Man kann dieses Dichotomie am ehesten als eine Heuristik verstehen, eine Regel oder Prozedur, die ein schnelles, aber nicht unbedingt präzises Einschätzen ermöglicht. Als eine solche werden wir sie auch bei der weiteren Bestückung unseres epistemischen Werkzeugkastens noch genauer unter die Lupe nehmen.

Die Frage, was Wissenschaft(lichkeit) ausmacht, an der sich bereits Generationen von Wissenschaftstheoretikern die Zähne ausgebissen haben, werden auch wir hier nicht annähernd lösen können. Daher zum Abschluss dieses Abschnittes wieder eine These: Um in einer praxisrelevanten Weise zu verstehen, was die heutigen Wissenschaften sind und wie sie funktionieren, helfen alle Definitions- oder Charakterisierungsversuche letztlich nur recht wenig. Wer kompetent über die Wissenschaften reden und mit wissenschaftlicher Erkenntnis in Diskurs und Politik operieren will, muss sich vor allem aktiv und unmittelbar mit verschiedenen Wissenschaften befassen und mit ihnen vertraut werden.

Wie soll das geschehen, wenn man nicht selbst am Forschungsbetrieb teilnimmt? Wir kommen auch auf diese Frage noch zurück.

Medien 01
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Zunächst aber zum nächsten Faktor, über den die digital-mediale, industriell-wissenschaftliche Epoche charakterisiert werden soll: den Medien. Drei Punkte, drei Unter-Abschnitte.

Was sollen „Medien“ (hier) sein?

Der erste: Medien ist, wie vieles andere auch in unserem Zusammenhang, ein „wesensmäßig umkämpfter Begriff“. Dementsprechend wird das Wort je nach Autor und Denkschule sehr unterschiedlich verstanden – mal eher materiell-technisch, mal eher funktional-gesellschaftlich, mal enger und mal weiter.14 Für jemand wie den Soziologen Niklas Luhmann war selbst die Liebe ein Medium (das Geld sowieso)15; der Philosoph Matthias Vogel ordnet sogar die menschliche Vernunft dem Medialen unter: Entstehen und Ausüben von Rationalität(en), so seine These, sind immer an Medien gebunden, deren uns am besten vertrautes (aber bei weiter nicht einzig mögliches – auch Musik zum Beispiel würde unter „Medium“ zählen) die Sprache ist16.

Ich mache es hier eine Nummer kleiner, ich übernehme einen „amerikanischen“ Medienbegriff17, in dessen Zentrum mass media stehen – und das heißt heutzutage schwerpunktmäßig digital media. Er entspricht damit mehr oder weniger dem, was man meint, wenn man landläufig „die Medien“ sagt, wobei ich aber die sozialen Medien und vor allem auch die nicht-journalistischen „Kognitionsmedien“ (siehe unten) ausdrücklich einschließe.

Auch dieser Medienbegriff ist fuzzy, also an seinen Grenzen unscharf. Vor allem, wenn man sich weiter in die Vergangenheit bewegt, vom Digitalen weg. Druckwerke – Bücher, Zeitungen etc., also die sogenannte Gutenberg Galaxy18 – würde ich klar zu den Medien zählen, bei Handschriften wird es bereits fraglich. Ihnen fehlt die Fähigkeit, Information aus ihrer raumzeitlichen Beschränkung zu befreien, sei es durch schnelle und prinzipiell unbegrenzte Vervielfältigung des materiellen Informationsträgers, sei es durch das Ermöglichen universellen, ortsunabhängigen Zugriffs wie bei den digitalen Medien. Vielleicht wird man den handschriftlichen „Aufschreibesystemen“19 durch einen Ausdruck wie Protomedien am ehesten gerecht.

Mündliche Rede hingegen, die direkt von Mensch zu Mensch gesprochen wird, wäre in der hier gebrauchten Begriffsvariante kein Medium. Erst wenn solche Rede technisch vermittelt wird, zum Beispiel im Radio, wird sie medial.

Medialität <-> Kommunikation

Zweitens: Ich will hier Medien und Kommunikation deutlich auseinanderhalten. Oft werden sie ja direkt aneinander gebunden. Kommunikation wird dann als das  Senden-und-Empfangen von Information20 durch einen medialen „Kanal“ verstanden, Medien erscheinen nur als Mittel der Ermöglichung von Kommunikation.

Sie haben darüber hinaus aber auch einen Eigenwert. So ruft jedes Medium bei seinem Erscheinen – die von Marshall McLuhan („The Medium is the Me(a)ssage“) ausgehenden Linie der Medienwissenschaften untersucht dies, ihr erstes Beispiel war das Fernsehen – tiefgreifende Transformationen in der individuellen Wahrnehmung und in den Konstellationen und Prozessen der Gesellschaft hervor21. Gerade in Hinblick auf die digitalen, insbesondere die sozialen Medien ist das auch heute wieder aktuell.22

Der Medienbegriff in diesem Text legt zwar auch auf die Autonomie des Medialen gegenüber der Kommunikation wert, soll aber eine etwas andere Stoßrichtung haben – eine, wenn man so will, informationsontologische. Was ist damit gemeint?

Kehren wir kurz zurück zur Frage der Erkenntnis. Zweierlei haben wir schon festgehalten: Erstens soll sich unser Erkenntnisbegriff ganz traditionell an der Vorstellung orientieren, dass Erkenntnis heißt, herauszubekommen, „wie etwas wirklich ist“ (wobei wir sehr vorsichtig sein müssen mit dem Verb sein, das wir deshalb auch noch genauer untersuchen werden). Zweitens soll er der Formel folgen „Erkenntnis ist, was die Wissenschaften hervorbringen“ (der wir ihren leicht zirkulären Touch noch austreiben wollen).

Natürlich soll diese Formel nicht bedeuten, dass es außerhalb der Wissenschaften keine Erkenntnis geben kann. Jeder weiß, dass Erkenntnisse auch durch individuelle oder kollektive Erfahrungen, Reflexionen, Erkundungen usw. zustandekommen können, die sich keiner wissenschaftlichen Methodik bedienen.

Die Formel soll nur den Modellfall von Erkenntnis, die Benchmark, vom Persönlichen in den Bereich des Wissenschaftlichen verschieben. Anders ausgedrückt: Wir wollen nicht, wie es üblicherweise geschieht, wissenschaftliche Erkenntnis nach dem Modell individueller Erfahrungserkenntnis verstehen, sondern die wissenschaftliche Erkenntnis zum Standardfall in unserer Epoche erklären, zum Referenzmodell, von dem die persönliche Erkenntnis dann eine Ableitung, ja sogar eine Schwundstufe darstellt. Grund dafür ist, dass sich die gesellschaftliche Relevanzordnung von Erkenntnis weg vom Individuellen und hin zur koordiniert-kollektiven Erkenntnisproduktion der „industrialisierten“ Wissenschaften verschoben hat – wir kommen darauf noch zurück.

Von solcher wissenschaftlicher Erkenntnis kann es, wie wir oben gesehen haben, aufgrund der Pluralität der Wissenschaften die verschiedenste Arten geben. Was allen wissenschaftlichen Erkenntnissen gemeinsam ist: Sie sind immer medial realisiert. Sie existieren in einem Medium – etwa im Internet. Das Medium dient nicht nur dazu, sie zu verteilen oder zu „vermitteln“. Erkenntnis ist für ihr bloßes Dasein aufs Mediale angewiesen, das Mediale ist ihre Wirklichkeit. Wie sollte sie auch sonst existieren? Indem sie von einem Wissenschaftler einem anderen ins Ohr geflüstert wird? Oder indem sie auf geheimnisvolle Weise in einer abstrakten platonischen Ideenwelt herumgeistert?

Es ist nicht ganz einfach, sich die mediale Existenzweise von Erkenntnis vorzustellen (und von anderer kooperativ realisierter Information – daher hatte ich oben von einem „informationsontologischen“ Medienbegriff geredet). Man kann versuchen, sich mit Analogien zu helfen: Ähnlich wie ein physikalisches Objekt, etwa ein Kubus oder ein Ball, nicht ausserhalb von Zeit und Raum existieren kann, kann ein kooperativer Gehalt (einer, der durch das koordinierte Zusammenwirken menschlicher Individuen entsteht) – in diesem Fall eine Erkenntnis – nicht ausserhalb des Medialen existieren. Oder, eine andere Analogie: Ähnlich, wie Gedanken in unseren Gehirnen existieren (also neuronal oder zerebral realisiert sind), existiert Erkenntnis in den Medien (ist also medial realisiert) – das Mediale fungiert dann als eine Art „Über-Gehirn“.

Aber letztlich hinken beide Vergleiche dann doch. Das Mediale ist zu eigentümlich, zu spezifisch, um sich im Rückgriff auf andere Erscheinungen bestimmen zu lassen. Um eine treffendere, angemessenere Vorstellung von ihm zu bekommen, müsste man tiefer in seine Untersuchung einsteigen.

Andererseits ist der Grundgedanke, dass (auch) Erkenntnis immer nur medial existieren kann, weder neu noch ungewöhnlich. „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“, sagt Niklas Luhmann, und ähnliche Feststellungen, die natürlich allesamt Kants berühmte Aussagen zum Stellenwert der Erfahrung für die Verstandesinhalte variieren, findet man auch von zahlreichen anderen Autoren.23

Exkurs (einklappbar): „Präsentieren“ als Existenzweise des Medialen

Die Ausdrucksweise, dass Erkenntnis in den Medien „existiere“ oder „realisiert sei“ macht zwar ungefähr klar, worum es geht, ideal ist sie aber bei weitem nicht. „Existieren“ scheint etwas zu meinen, das rein aus sich heraus stattfindet und worauf wir weiter keinen Einfluss haben. Das stimmt aber hier nicht, denn die Mediensphäre ist etwas, das wir aktiv gestalten, ähnlich wie unsere ökologische Umwelt, die ja auch nicht einfach Wildwuchs ist. Am „realisiert sein“ hingegen stört die passivische Grammatik, die wenig Flexibilität bei der Ableitung weiterer Begriffe bietet – man müsste etwa von „Weisen des Realisiert-Seins“ reden, wenn man sich über verschiedene Spielarten der Medialisierung von Erkenntnis Gedanken machen will. Wie kann man das Gemeinte besser ausdrücken?

Aus der neurologisch-kognitionswissenschaftlichen Analogie könnte man sich noch „repräsentiert sein“ ausleihen, nach dem Vorbild von: „Wie ist Wissen im Hirn repräsentiert?“. Gegenüber den beiden vorigen Alternativen ergeben sich aber zunächst keine Vorteile – es sei denn, man modifiziert die Ausdrucksweise ein wenig. Hier wäre das Schema, nach dem ich vorgehen würde: „Erkenntnis ist medial repräsentiert“ –> „Erkenntnis (re)präsentiert (sich) medial“ –> „Erkenntnis präsentiert medial.“

Man gewänne – oder gewinnt, denn so soll es in diesem Text tatsächlich funktionieren – damit ein variiertes Verb „präsentieren“, das aktivisch funktioniert wie „existieren“, dabei aber zu verstehen gibt, dass es sich nicht um ein unabwendbares, unbeeinflussbares Fatum handelt, sondern um ein kulturell-technisches Phänomen, das wir selbst zu verantworten haben und auf das wir in verschiedenster Weise beeinflussen können.

Die obige Formel „Erkenntnis existiert immer medial“ verändert sich damit ebenfalls, sie wird zu: „Erkenntnis präsentiert immer medial“. Wenn man dabei etwas mithört wie „ihre Art, präsent zu sein, ist immer eine mediale“, dann sind wir bereits auf dem besten Wege, eine gemeinsame Verstehensweise von „präsentieren“ zu entwickeln.

In den Blick zu nehmen, dass Erkenntnis immer medial existiert oder präsentiert, eröffnet Fragestellungen, die für einen Update unserer Erkenntniskultur von großem Wert sind, die bei einem auf Kommunikation basierenden Medienverständnis jedoch außerhalb des Blickfelds liegen.

In einem Kommunikations-Paradigma würden wir fragen: Wie kann wissenschaftliche Erkenntnis medial erfolgreich kommuniziert werden? Diese Frage dominiert ja in der Tat einen Großteil der gegenwärtigen Diskussionen über Wissenschaftskommunikation, Wissenstransfer, Public Engagement und allgemein über das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft. 

Sie leitet unsere Aufmerksamkeit auf Folgefragen wie: Was muss der Kommunikator (der „Sender“) beachten, um Erfolg zu erzielen? An welchen Rezipienten („Empfänger“) sollte er sich wenden? Wie kann er bei diesem Rezipienten Wirkung hervorrufen? Wie kann er ihn, so nötig, von seiner Botschaft überzeugen?

Diese Folgefragen sind allesamt legitim und sinnvoll. Sie engen aber die Thematik auch stark ein. Sie lokalisieren die Aktivität oder Agency schwerpunktmäßig beim Sender (Kommunikator), der Empfänger erscheint als ein weitgehend passives „Zielobjekt“. Zudem werden die medialen Kanäle als gegeben angesehen und selbst nicht zum Gegenstand der Reflexion gemacht, geschweige denn zu einem der Gestaltung.

Entkoppelt man das Thema Medialität von dem der Kommunikation, dann ergibt sich eine ganz andere Leitfrage, nämlich: Wie kann wissenschaftliche Erkenntnis erfolgreich medialisiert, also möglichst produktiv medial „in Umlauf gehalten“ werden? Und auch die Folgefragen sind andere. Zum Beispiel: Welche Rolle spielen verschiedene Medialisierungsweisen für die Zugänglichkeit von Erkenntnis? Wer nutzt Erkenntnis, die medial auf verschiedene Weisen präsentiert („präsentieren“ – siehe oben)? Wer nutzt sie wie? Wie kann die Medialisierung so gestaltet werden, dass verschiedene Erkenntnisarten als solche erkennbar bleiben und nicht entstellend transformiert werden, zum Beispiel pauschalisiert als „Wissen“ oder umgekehrt als „bloße Meinung“? Wie kann Erkenntnis so medialisiert werden, dass unsere Erkenntniskultur Dysfunktionalitäten abbaut und Funktionalität hinzugewinnt?

Das Verhalten des Kommunikators wird nun zu einem Faktor unter vielen. Mindestens ebenso wichtig wird unter der neuen Fragestellung der Nutzer selbst, der nun weitaus mehr ist als nur Empfänger: Er ist ein vollwertiger Akteur, der aktiv in der Medienlandschaft unterwegs ist und am medialen Geschehen teilnimmt, der auswählt, abwägt und beurteilt – ein selbständiger Netzbürger, nicht ein Ziel für Überzeugungs- oder gar Belehrungsarbeit. Das wird nicht nur unserem Ideal eines verantwortungsvollen Bürgers besser gerecht, sondern entspricht auch viel eher der Realität.

Des weiteren gerät nun die Medieninfrastruktur selbst ins Blickfeld, die zuvor als etwas passiv Gegebenes erschien. Die Frage nach der erfolgreichen Medialisierung wissenschaftlicher Erkenntnis zieht dann etwa die Folgefrage nach sich, in welchen Medienformaten überhaupt Medialisierung von Wissenschaft stattfindet, welche Formate welche Möglichkeiten bieten oder was neue Technologien wie KI-Chatbots („generative Expertensysteme“) an der Medialisierung von wissenschaftlicher Erkenntnis verändern könnten und wie sich eine solche Veränderung medial gestalten liesse. 

Fassen wir zusammen: Unsere Vorstellung von Medien aus dem Klammergriff des Kommunikations-Paradigmas zu befreien, bringt gleich in mehrfacher Hinsicht Gewinn mit sich. Es macht erstens den Blick frei auf die Tatsache, dass Erkenntnis sowieso immer medial existiert – sie wird nicht im Akt der Kommunikation auf geheimnisvolle Weise in ein Mediennetzwerk eingespeist. Es befreit zweitens den Mediennutzer aus seiner passiven „Empfänger“–Rolle, die er sowieso nie innehatte und die auch politisch und gesellschaftlich nicht wünschenswert ist. Und es öffnet drittens den Blick auf den Bereich mit dem wohl größten unausgeschöpften Innovationspotenzial: den der medialen Infrastruktur selbst.

Denn wenn man bedenkt, wie sehr mediale Innovationen wie z. B. Twitter/X nicht nur die Medienlandschaft, sondern auch den öffentlichen Diskurs und damit den gesellschaftlichen Umgang mit Erkenntnis verändert haben, bis in die praktische Politik hinein, im Guten wie im Schlechten, dann scheint es ein geradezu sträfliches Versäumnis, immer nur zu überlegen, wie man mit den gegebenen Mitteln Erkenntnis besser kommuniziert: Es muss mindestens ebenso darum gehen, sie mit neuen Mitteln besser zu medialisieren.

Medien <-> Journalismus

Kommen wir zum dritten Punkt in diesem Medien-Kapitel. Bei ihm geht es um eine weitere Abgrenzung: Um diejenige zwischen Medien und Journalismus.

Fragt man die sprichwörtliche zufällige Person auf der Straße, was sie mit dem Wort Medien verbindet, dann wird sie wohl etwas antworten wie: „Na, Journalismus.“ Auch in journalistischen Kreisen wird meist wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass es die eigene Profession ist, die „die Medien macht“.

Verstärkt wird diese Einschätzung dadurch, dass der Journalismus als vierte Gewalt in der Demokratie als der legitime Medienakteur gilt – was wiederum dazu führt, dass auch Politik, Behörden, Stiftungswesen und nicht zuletzt die Öffentlichkeit in ihren Debatten unter dem Begriff „Medien“ am ehesten den journalistischen Aspekt thematisieren.

Aber man darf darüber nicht vergessen: Nicht jedes Medium ist ein journalistisches Medium. Die Wikipedia etwa— zweifellos ein Medium, und eines, das für die medial-politische Wirklichkeit eine beträchtliche Rolle spielt — beruht nicht auf Journalismus. Auch viele Projekte der Wissenschaftskommunikation, Analyse- und Forschungsportale wie The ConversationGeschichte der Gegenwart oder Quanta Magazine oder auch Citizen Thinktanks wie 1E9 zielen auf eine Form von Medialität, die nur bedingt etwas mit Journalismus zu tun hat. Und natürlich sind auch soziale Medien sind nicht im eigentlichen Sinne journalistisch.

Die übliche Engführung von Medien und Journalismus ist also irreführend. Wie kann man ihr entgehen? – Man könnte stattdessen die Mediensphäre in drei Sektoren aufteilen: erstens die journalistischen Medien, also Informations- oder Nachrichtenmedien, zweitens soziale Medien und als Drittes: Medien, in denen es nicht primäre um aktuelle Ereignisse geht, sondern zum Beispiel um Theorien, Wissen, Modelle, Vergleiche, Logiken, Hypothesen, Prinzipien, Argumente. Für diesen Sektor fehlt nun noch ein Name.

Diese Medien stellen Denkmittel, Kognitionsinstrumente zur Verfügung, man könnte auch, in Anlehnung an den gebräuchlichen Ausdruck „Narrative“, von Kognitiven sprechen. Eine mögliche Bezeichnung für diesen dritten Sektor wäre dann Kognitionsmedien — was heissen soll: Medien, in denen man die Werkzeuge findet, um über etwas nachzudenken.

Oder man macht sich das Wort Clue zunutze. Die Wörterbücher übersetzen „Clue“ mit Hinweis, Anhaltspunkt, Schlüssel zu einem Problem. Herkunftsmässig steht dahinter clew, also Garnknäuel. Ein Clue, das ist der Ariadnefaden, an dem man sich aus einem Labyrinth heraushangelt: Es hilft einem, sich einen Reim auf etwas zu machen.

Zum Beispiel auf die News, die tagtäglich auf uns hereinrasseln. All the News That’s Fit to Print — so heisst es seit 1897 ununterbrochen auf Seite eins der New York Times. Und bei aller Vielfalt der journalistischen Formate (Kommentare, Analysen, Reportagen, Interviews und viele andere): News sind ja in der Tat das Kerngeschäft des Journalismus und werden es wohl auch weiterhin bleiben.

Man kann dann News Media auf der einen, Clues Media auf der anderen Seite einander gegenüberstellen. Das ist natürlich ein wenig ein Wortspiel. Aber es macht deutlich, dass beide gleichberechtigten Anteil an der Konstitution der medial-politischen Wirklichkeit haben und dass man, wenn man über Medien spricht oder nachdenkt, auch stets beides im Sinn haben sollte. Denn wenn wir uns bei allen Mediendiskussionen ausschliesslich auf die Probleme des Journalismus konzentrieren, dann verpassen wir die Hälfte der wichtigen Fragen. (Disclaimer: Dieser Abschnitt orientiert sich an den entsprechenden Passagen meines Artikels Clues Media (2023), der darüberhinaus das Konzept eines „Media Super Stores“ skizziert, in dem sowohl News als auch medialisierte Clues angeboten werden.)

Exkurs (einklappbar) „Content Acts“: Theorieskizze distribuierte mediale Episteme

Eine andere und, denke ich, bessere Möglichkeit wäre, das (Digital-)Mediale nicht nach Sektoren aufzuteilen und seiner innere Ordnung nicht an Portalen oder Projekten festzumachen, sondern eine Ebene tiefer zu gehen und sich an etwas zu orientieren, das ich hier einmal provisorisch Content Acts nennen möchte.

Als Content Acts sollen die verschiedenen Content-Arten innerhalb eines medialen Formats (Text, Video …) verstanden werden, ähnlich den bekannten Sprechakten.

Eine provisorische Liste von Content Acts könnte etwas umfassen wie Bericht, Appell, Argument, Kritik, Meinung, Vergleich, Zitat und fremde Rede, aber auch Erzählung, Scherz, Fiktion, Modell, Vergleich, logische Verknüpfung, Hypothese, Zusammenfassung, Theorie und viele andere mehr. 

Wie man sieht, gehören solche Content Acts zu den unterschiedlichsten literarischen und kognitiven Gattungen. Und ein mediales Stück, sei es ein journalistischer Artikel, ein Social Media-Beitrag oder ein Wikipedia-Eintrag, besteht im Regelfall aus mehreren verschiedenen solcher Content Acts (wie auch Sprechakte innerhalb eines Texts oder einer längeren Äußerung in der Regel gemischt vorliegen). Ein journalistischer Kommentar etwa wird zwar viel Meinung und Kritik enthalten, aber er kommt auch nicht ohne Bericht, Zitat, Zusammenfassung oder Theorie aus. Ebenso wird man kaum ein nachrichtliches Stück im Journalismus finden, das nicht auch Argumente enthält und von Theorien zumindest eingefärbt ist und so weiter.

Man könnte nun wieder eine Gruppe von Content Acts – Theorie, Modell, Vergleiche, Hypothese, Argument etc. und teils, je nach dem, worauf sie sich beziehen, auch Zitat, logische Verknüpfung und Zusammenfassung in einer Gruppe der kognitiven Content Acts oder kurz der Kognitive zusammenfassen.

In diesem Falle kommt man nicht zu einer sektoriellen, sondern sozusagen zu einer granulären Sortierung des Medialen. Die entspricht nur nur, würde ich denken, besser der Realität, sondern sie eröffnet auch den Weg zu einer für die digitale soziale Epistemologie wichtigen Einsicht: Erkenntnis ist bei weitem nicht nur in ausdrücklich ihr gewidmeten (engl: dedicated) Medienformaten realisiert (sie präsentiert nicht nur dort), wie etwa in der Wikipedia, im Wissenschaftsjournalismus und in der Wissenschaftskommunikation. Auch in vermutlich fast allen anderen Medienformaten – journalistischen oder solchen aus den Social Media – sind kognitive Content Acts präsent und mit-konstitutiv.

Wenn man sich mit der Medialisierung von Erkenntnis befassen will und diese qualitativ verbessern möchte, sollte man also auch die Phänomene einer verteilten (distributed) oder eingebetteten (embedded) kognitiven Medialität in den Blick nehmen. Eventuell ist dort der gesellschaftliche und politische Einfluss medialisierter Erkenntnis sogar größer als bei den klassischen wissenschaftsbezogenen Formaten. Darüber, mit welchen Analysemethoden und Konzepten man diese „verteilte Erkenntnis“ zugänglich machen und wie man ihre mediale Qualität verbessern könnte, müsste man sich gesondert Gedanken machen.

Medien — das ist jedenfalls mehr als „nur“ Journalismus. Ein halbwegs vollständiges Modell bekommt man erst, wenn man die kognitive Medialität (Portal-Beispiel: Wikipedia) mit hinzuzählt. Beziehungsweise alles drei: Informationsmedien (News Media), Soziale Medien und Kognitionsmedien (oder „Clues Media“). Bliebt man bei einer sektorialen Denkweise, könnte man sich zur Orientierung in der Mediensphäre ein Schema vorstellen wie dieses:

Ein mögliches Schema der Mediensphäre, grob in drei Teile geteilt. Illustration: Bernd Schifferdecker

Erkenntnis und Medialität

Dieses Kapitel wäre nicht komplett ohne den Versuch, unsere kurze Bestandsaufnahme des Medialen auch für den Versuch zu nutzen, die Bestimmung des Erkenntnis-Begriffes selbst weiterzutreiben und ihn nach Möglichkeit bereits ein Stück gehaltvoller zu machen.

Folgende Formel bietet sich an: Erkenntnis ist ein gültiges medial realisiertes Kognitiv. Sie würde ergänzen, was wir bisher zusammengetragen haben: Erkenntnis heisst, herauszubekommen, wie etwas wirklich ist und Erkenntnis ist das Ergebnis von Wissenschaft.

Hier kommt ein neuer Begriff ins Spiel, der uns später noch eingehend beschäftigen wird: derjenige der Gültigkeit (Validität). Was heisst es, dass etwas gültig ist? Heisst es, dass es auch tatsächlich gilt (was immer man darunter dann verstehen möchte)? Heisst es „nur“, dass es gut – wissenschaftlich gut – begründet ist? Oder gibt es noch andere Kriterien, an denen sich Gültigkeit sinnvoll festmachen lässt?

Nichtwissen 01
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In unserer Kultur ist das Wissen der Goldstandard der Erkenntnis. Und das auch ganz zurecht. Erkenntnisse, an denen man nicht zweifeln muss und die zu anderen Erkenntnissen nicht im Widerspruch stehen – Wissen eben –, sind von kaum überschätzbarem Wert.

Problematisch wird es allerdings, wenn man vor lauter Begeistert-Sein vom Wissen vergisst, dass wir von zahlreichen Phänomenen umgeben sind, über die wir eben gerade nichts wissen – und möglicherweise noch nicht einmal etwas wissen können. Für Nichtwissen blind zu sein, ist eine der vielen Ursachen für epistemische Arroganz.

Von etwas nichts wissen – das kann die verschiedensten Bedeutungen haben. Es kann heißen, dass das Wissen zwar existiert, ich es aber noch nicht erlangt habe: Das könnte man Ungebildetheit oder Wissens-Defizit nennen.

„… there are also unknown unknowns – the ones we don’t know we don’t know.“

Auf einer Meta-Ebene weiß man immerhin manchmal, dass man etwas nicht weiß – etwa, wie das Wetter an diesem Tag in einem Jahr sein wird –, und manchmal weiß man noch nicht einmal das: zum Beispiel bei „black swan“-Ereignissen, die außerhalb alles Erwartbaren liegen. Siehe Donald Rumsfelds berühmter Ausspruch von den „unknown unknowns“24.

Oder von etwas nichts wissen kann bedeuten, dass man zur betreffenden Angelegenheit zwar durchaus allerlei Erkenntnisse hat, diese aber nicht den Rang von Wissen beanspruchen können. Diesen epistemischen Status könnte man den der Fraglichkeit nennen. Er begegnet uns heute überall auf Schritt und Tritt.

Und zuletzt kann von etwas nichts wissen bedeuten, dass das betreffende Wissen überhaupt noch nicht in der Welt ist, sich aber voraussichtlich mit einigem Aufwand erzeugen lässt – das könnte man Rätsel nennen –, oder dass es sich vielleicht prinzipiell gar nicht erlangen lässt – dann hätte man es mit einem Geheimnis zu tun. 

Der Katalog ist unvollständig – Nichtwissen ist eine vielfältige Angelegenheit. Nicht weniger vielfältig als Wissen.

Unausweichlich kommt einem bei diesem Thema auch die klassische Sentenz in den Sinn: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Sie wird bekanntlich Sokrates zugeschrieben, vergleichbare Aufforderungen zu epistemischer Demut lassen sich aber auch in anderen Kulturen und Epochen finden.

Es scheint eine Notwendigkeit ständiger Mahnung zu geben, die Verlässlichkeit seiner eigenen Erkenntnisse oder die Möglichkeiten von Wissen überhaupt nicht überzubewerten. Und in der Tat kann man sich ja ausmalen, dass zwar fast jeder erstmal sagt: Oh ja, wie wahr, wie weise! – sich aber bald darauf doch wieder in der alten Wissgewissheit wiegt und wenn überhaupt, dann nur das Wissen der anderen in Frage stellt. Es fehlt dem Hinweis auf die Unausweichlichkeit von Nichtwissen offenbar notorisch an Impact.

Oder vielleicht sind Sokrates und Co. auch einfach nur die falschen Botschafter?

Geheimnisgarant

Blenden wir einmal das wissenschaftliche Weltverständnis aus und denken uns ein religiöses. Der Einfachheit halber ein monotheistisches; ob jüdisch, islamisch oder christlich tut nichts zur Sache.

aus: Children’s Drawings of Gods (Universität Lausanne), Japan, 11 Jahre

Wichtig ist nun also dieser EINE, dieser Gott (Respekt dem alten Herrn). Er hat die Welt erschaffen, er könnte jederzeit ins irdische Geschehen eingreifen, er hat das letzte Wort in allen Fragen der Moral. Und er ist da. Schon immer und für immer. Sein Dasein ist realer, substanzieller als das von irgendetwas sonst, er ist der Inbegriff von Dasein überhaupt.

Und auch im Leben jedes Einzelnen ist er präsent. Man geht in seine Tempel, um ihm nah zu sein. Man wendet sich an ihn in den Gebeten. Lieder, Gedichte werden ihm gewidmet. Verrichtungen, die aus dem Alltag Brücken zu ihm schlagen, geben den Tagen ihren Takt. 

Beständig geistert er durch die Gedanken, mal als ein Ansporn, mal als Drohung, mal als Trost, und mal als Antwort auf kleine und auf große Fragen – als eine seltsam unvollständige. Eine, die zwar das Fragen stillt, doch keine Lösung bietet. Was soll das heißen, „Gott“? – Die Antwort als Geheimnis.
In seinem Kern ist Gott unfassbar, unbegreiflich. Die 99 Namen, die er trägt, rühren nur an die Oberfläche. Der einhundertste Name, der wahre, eigentliche, ist und bleibt unbekannt.

Und weil Gott überall und in allem ist und alles in Gott, und weil Gott ein unfassbares und unbegreifliches Geheimnis ist, ist im religiösen Weltverständnis auch das Nichtwissen ständig und überall präsent.

Eine Mahnung neunmalkluger Philosophen, es nicht aus dem Blick zu verlieren, braucht es nicht. Auch nicht an Forschende, die sich in ihre Problemstellungen verbohren und dort nach Wissen schürfen. Denn Wissen gibt es ja auch weiterhin, auch außerreligiöses, Weltwissen nämlich, Astronomie, Mechanik, Medizin und vieles andere mehr. Nur steht es nicht allein da, ohne Gegenpol. Je mehr ich forsche, desto mehr erforsche ich auch Gott, und desto tiefer taumle ich am Ende ins Geheimnisvolle.

Das Bewusstsein, im göttlichen Geheimnis zu leben, allem positiven, manifesten Wissen, das man haben mag, zum Trotz, kommt vielleicht dem am nächsten, was in anderen Religionen dann Erleuchtung hieße.

Im religiösen Weltverständnis konnte die Tatsache des Geheimnisses nicht übertüncht werden, nicht vergessen werden, von nichts übertönt werden. Gott selbst stand für das Geheimnis ein. Er war sein ewiger und unbestechlicher Garant.

Sturzflut

Einen solchen Garanten gibt es heute nicht. 

Oft heißt es ja, Gott habe bei seinem Verschwinden ein „Loch“ oder eine „Lücke“ hinterlassen. Es ist aber genau andersherum: Das Ausscheiden Gottes hat uns das Loch genommen, das es vorher gab, nämlich das Loch des Geheimnisses. Den ständigen Bezug auf den unendlichen Ozean des Nichtwissens, in dem wir, aller Wissenschaft zum Trotz, nur eine winzige Insel bewohnen.

Und Gott kehrt nicht zurück. Die Säkularisierung ist, zumindest in der sogenannten westlichen Welt, ein Fakt und unumkehrbar. In unserer wissenschaftlichen Erkenntniskultur gibt es für Erklärungen, die auf Übernatürliches, oder, wie es besser heißen könnte, auf metaphysische Poesien zurückgreifen, keinen Platz. Und das ist sicherlich kein Anlass für irgendeine Nostalgie.

Dennoch ist die heutige Lage dramatisch, epistemisch gesehen. Drei, nein sogar vier Faktoren kommen zusammen.

Erstens produziert unser moderner Wissenschaftsbetrieb Erkenntnisse in historisch nie dagewesener Frequenz und Zahl – eine wahre Erkenntnis-Eruption. Zweitens gibt es in der heutigen Wissensgesellschaft nicht nur einen großen Bedarf, sondern eine grenzenlose, geradezu wollüstige Gier nach Wissen. Das macht es drittens lohnend, x-beliebige, nicht-wissensförmige Erkenntnisse fälschlich als Wissen zu deklarieren, was nicht weiter schwierig ist, da ja taugliche Werkzeuge zu ihrer Unterscheidung fehlen.

Zusammen führen diese drei – wissenschaftliche Erkenntnisexplosion, soziale Wissens-Fetischisierung und florierender, ja sogar institutionell beförderter Wissens-Schummel – dazu, dass in jeder Sekunde unserer Gegenwart eine tobende Sturzflut aus miteinander verquirltem Wissen und Wissens-Mimikry in den digitalen Raum hineinschießt, von deren Gewalt selbst die standhaftesten und redlichsten Netzbürger hilflos mitgerissen und binnen Augenblicken in die totale Erkenntnisverwirrung verschwemmt werden.

Und viertens ist schließlich keinerlei global oder systemisch wirksame Instanz auszumachen, die durch ein nachdrückliches gesellschaftliches und kognitives Geltendmachen des Eigenwerts von Nichtwissen diesem brutalen epistemischen Misch- und Mahlstrom irgendetwas Haltbares würde entgegensetzen können, von einem Bewusstsein fürs rundheraus Geheimnisvolle der Welt und unseres Daseins ganz zu schweigen. Na, was kann da, möchte man fragen, schon schiefgehen?

Neue Korrektive

Den resultierenden kognitiven und gesellschaftlichen Verheerungen müssen wir hier nicht weiter nachgehen. Stattdessen zum Abschluss noch die Frage: Was gäbe es denn, nun wo unser alter Herr dafür nicht mehr zur Verfügung steht, für andere Möglichkeiten, unsere überhitzte Wissens-Konjunktur wieder ein wenig abzukühlen?

Ohne ein Minimum an Glaskugel werden wir dabei nicht auskommen. In meiner flimmern drei Szenarien auf.

Nichtwissenschaft. Im ersten Szenario geht es um eine denkbare zukünftige Disziplin, deren Zweck nicht das Generieren von Wissen wäre, sondern das Erforschen von Nichtwissen. Also eine umgekehrte, negative Wissenschaft beziehungsweise eine Nichtwissen-Schaft.

Diese umgekehrte Wissenschaft würde die gleiche Hartnäckigkeit und methodische Strenge wie die herkömmlichen Wissenschaften an den Tag legen, um auf die Suche nach Nichtgewusstem, Nichtwissbaren oder gar überhaupt Unerkennbarem gehen. Sie würde ihre Entdeckungen beschreiben, sie auf ihre tatsächliche epistemische Unzugänglichkeit überprüfen und in den Diskurs einspeisen.

Klingt albern? – Kann ich verstehen. Praktiziert wird Nichtwissens-Forschung jedoch schon seit geraumer Zeit. Das Routledge International Handbook of Ignorance Studies ist 2023 bereits in zweiter Auflage erschienen.25 Nichtwissen, schreiben die Herausgeber „ist inzwischen zu einem sehr einflussreichen und schnell wachsenden eigenständigen Thema geworden“.26

Sicher, im Mittelpunkt stehen dabei zunächst die schädlichen Auswirkungen von Nichtwissen, etwa in politischen Zusammenhängen. Ignorance als Defizit. Aber das ändert sich. Im deutschsprachigen Sammelband Nichtwissenskulturen und Nichtwissensdiskurse (2015) heißt es, Nichtwissen werde „zunehmend als ein Phänomen wahrgenommen, dem […] auch ‚positive‘, nützliche Seiten abzugewinnen sind – und das es deshalb unter Umständen sogar gegen Wissensbemühungen zu verteidigen gilt.“27

Muss die Idee einer „Nichtwissenschaft“ vielleicht überhaupt nur wiederentdeckt werden? Ausgerechnet der Denker, dem wir den Begriff „Epistemologie“ verdanken, der schottische Metaphysiker James Frederick Ferrier (1808–1964), hatte sie nämlich schon einmal an den Start gebracht.28 Ontologie, Epistemologie und „Agnoiologie“ (von gr. agnoeō, nicht wissen) oder Theorie des Nichtwissens – daraus bestand für ihn die ganze Philosophie. Die Epistemologie hat Karriere gemacht, ihr Gegenstück nicht. Nun gut, der Name war vielleicht etwas unglücklich gewählt. Agnoiologie: Weder gut aussprechbar noch gut zu merken …  

Google Ngrams (Worthäufigkeiten) für „epistemology“ (rot) und „agnoiology“ (blau), oben 1800–2022, unten 1845–1870. Die Fundstellen unten scheinen vor allem aus Ferriers Buch und dessen Rezensionen zu stammen, allerdings wurde „Agniology“ auch in den verbindlichen Wortschatz für die Telegraphie aufgenommen. Später verschwindet das Wort, „epistemology“ hingegen macht eine sprunghafte Karriere, die bis heute anhält.

Das Nichtgewusste zu erforschen ist jedenfalls ganz und gar keine abwegige Idee. Vielleicht wäre der Schritt von den heute florierenden Ignorance Studies zu einer regelrechten Nichtwissenschaft viel kleiner, als es zunächst scheint?

Das Ohr. Das zweite Szenario dreht sich ums Ohr, genauer ums Hören, ums Auditive. Genauer um dessen Bedeutung für das Denken.

Unsere Kognition ist ja in vielem durch unsere körperlichen Sinne strukturiert. Insbesondere das Auge spielt dabei eine große Rolle: Geistesinhalte werden gern als „Ab-bilder“ der Außenwelt verstanden; Wahrheit ist oft mit der Vorstellung eines erhellenden „Lichts“ verbunden; und unsere Sprache strotzt vor visueller Epistemologie: Wir reden von Einsichten, wir sagen: schau! und meinen: überlege!, einen wichtigen Gedanken haben wir klar vor Augen

Dass diese Visiozentrik unser Denken verzerrt, vermutet man schon lange. Der Sozialphilosoph Ulrich Sonnemann (1912–1993) etwa wetterte gegen die „Tyrannei des Auges“ und wollte als Gegenprogramm eine „transzendentale Akustik“ formulieren, eine auf dem Klanglichen beruhende Denklehre. Das würde übrigens auch den Ergebnissen der aktuellen Hirnforschung entgegenkommen, denn in der Tat gleichen die Neuronen und ihre Tätigkeit in vieler Hinsicht einem Orchester winziger „bio-elektrischer Gitarren“.

Würde sich unser Denken nicht das Sehen zum Vorbild nehmen, sondern das Hören, dann sähe [sic!] unsere Erkenntniskultur wohl deutlich anders aus – insbesondere in Hinsicht [!] auf die Gewichtung von Wissen und Nichtwissen.

Der visuelle Denkmodus nimmt ein Objekt, stellt es vor sich hin und mustert es. Der auditive hingegen taucht ein ins zu Bedenkende. Es ist für ihn nicht Gegen-Stand, sondern Umwelt, Um-Geschehen. Er horcht es aus, er auskultiert es wie der Arzt die Lunge und das Herz (lat. auscultare „eifrig zuhören“). Oder er durchhorcht es, wie man eine komplexe Musik durchdringt. Entsprechend haben, wenn ich Schauender bin, Fragen für mich einen einzigen Zweck: eine Antwort zu finden. Für den Lauschenden hingegen liegt der Wert der Frage in ihrer Offenheit selbst. Das Schauen zielt auf Wissen allein, das Lauschen kann auch Nichtwissen erkunden.

Ich gebe zu: Das bleibt sehr skizzenhaft. Ein derart umfangreiches Thema braucht eigentlich mehr Entfaltungsraum (den es an anderer Stelle auch bekommt)29

Daher hier einfach einmal ein persönliches Bekenntnis: Ich glaube in der Tat, dass so ein Schwenk vom Auge hin zum Ohr die mit Abstand wirkungsvollste Maßnahme gegen die inflationäre Vermehrung irregeleiteter Wissensansprüche wäre. Und nicht nur das: Sie würde generell die Passungen zwischen unserer Kognition und unseren Lebens- und Handlungsumständen massiv verbessern.

Aber das ist sehr, sehr vage Zukunftsmusik. Es müssten ja geradezu die biokognitiven Grundlagen unseres Weltverhältnisses revidiert werden. Nur denkbar wohl – wenn überhaupt – in Zeitmaßstäben, die schon an die der Evolution selbst heranreichen.

Erkenntnis ohne Wissen. Da liegt das dritte Glaskugel-Szenario schon sehr viel näher. Denn es kann sofort umgesetzt werden, unverzüglich. Es ist das Szenario, von dem dieser Text handelt: Den derzeitigen epistemischen Standard-Werkzeugkasten weiter auszubauen. Seine Konzepte, Heuristiken und Logiken so „upzugraden“, dass man mit ihnen auch Erkenntnisarten, die kein Wissen sind, adäquat, sinnvoll und produktiv handhaben kann.

Denn es ist eben nicht alles Gold, was glänzt. Auch epistemisch nicht. Doch andererseits auch nicht alles wertlos, das nicht Gold ist. Es ist nur anders etwas wert. Und diesen Wert muss man zur Geltung bringen.
 

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über neu hinzukommende Textabschnitte poste ich auch jeweils auf Linkedin, Bluesky und Twitter („X“).

Vorschau
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Einige Themen – unvollständig und unsystematisch –, die hier nach und nach zur Sprache kommen werden:

  • Ambivalenz und Ambiguität: Können einander widersprechende Erkenntnisse gleichermaßen „wahr“ sein?
  • Wissenschaftskommunikation und Medialisierung von Wissenschaften
  • Logik unserer kognitiven Verarbeitung von Erkenntnis: Entweder-Oder, Sowohl-als-Auch und „Entweder-Und“: ein neuer, parakonsistenter logischer Operator
  • „So ist es“ – die tückische Konflation von Gültigkeit und Erkenntnis
  • epistemische Arroganz
  • Wikipedia als Erschließungs-Medium für wissenschaftliche Erkenntnis
  • wahr sein, korrekt sein, stimmen, taugen – verschiedene Weisen von Gültigkeit
  • gesellschaftlich-wissenschaftliche Hyperproblematiken und post normal science
  • Erkenntnis, die kein Wissen ist: ein neues Nomen und ein neues Verb
  • Faktizitätskrise und Erkenntnis-Verwirrung
  • Erkenntnisgefühle (epistemic emotions) und digital-soziale Epistemologie
  • Valorisierung von Nichtwissen und Nichtwissbarkeit in post-religiöser Zivilisation
  • Wenn-dann-Heuristiken zur schnellen Voreinordnung unterschiedlicher epistemischer „Issues“

______________________

  1. Foucault hat seinen Begriff der Episteme mehrfach modifiziert, siehe etwa: Yves Viltard, L’étrange carrière du concept foucaldien d’épistémè en science politique. Raisons politiques, no 23(3) 2006, 193-202. https://doi.org/10.3917/rai.023.0193. Der Wortlaut der hier zitierten Stelle: „Si tu veux, l’épistémè, je la définirais, en faisant retour, comme le dispositif stratégique qui permet de trier parmi tous les énoncés possibles ceux qui vont pouvoir être acceptables à l’intérieur, je ne dis pas d’une théorie scientifique, mais d’un champ de scientificité, et dont on pourra dire: celui-ci est vrai ou faux. C’est le dispositif qui permet de séparer, non pas le vrai du faux, mais l’inqualifiable scientifiquement du qualifiable.“ Michel Foucault, Dits et écrits 1976-1979, Band. 3, Paris 1994, S. 298-329. ↩︎
  2. Man kann hier einige Anklänge an die sogenannte „Erlanger Schule“ oder den „Erlanger Konstruktivismus“ in der Wissenschaftstheorie feststellen, die auf Wilhelm Kamlah und Paul Lorenzen zurückgeht und in der deutschen Theorielandschaft durch Autoren wie Peter Janich, Martin Carrier, Mathias Gutmann, Holm Tetens, Sybille Krämer, Harald Wohlrapp u.v.a. mehr beträchtlichen Einfluss gewonnen hat. Der Grund dafür liegt aber nicht in irgendeiner Schulzugehörigkeit des Autors, sondern in seinen epistemologisch pluralistischen und gemäßigt konstruktivistischen Grundüberzeugungen, die mit der Erlanger Schule in manchem konvergieren. ↩︎
  3. „Foundherentism“. Ein hässliches Wort, aber ein gutes Konzept: Susan Haack kombiniert die beiden grossen Theorien von „Wahrheit“, nämlich Korrespondenz (wahr ist, was der Wirklichkeit entspricht) und Kohärenz (wahr ist bzw. für wahr gehalten wird, was einander gegenseitig stützt) in ein einziges Modell. Normalerweise gelten sie als unvereinbar miteinander. In Haacks „foundherentism“ greifen sie hingegen ineinander – sie vergleicht das mit einem Kreuzworträtsel: Man kann ein Lösungswort finden (to justify a claim, eine Aussage begründen), indem man entweder (a) die gegebene Beschreibung richtig entschlüsselt oder (b) die fehlenden Buchstaben richtig errät / interpoliert. Das erste entspricht der epistemischen Strategie der Empirie (Foundationalism), das zweite der Kohärenzstrategie (die Elemente des „web of belief“, wie der Philosoph Willard Van Orman Quine es genannt hat, müssen zusammenpassen).
    Haacks Konzeption ist sehr plausibel und ein exzellentes Beispiel dafür, dass radikale oder „primitive“ Ideen („Wahrheit ist Faktenentsprechung!“ – „Wahrheit ist Zusammenhang und Widerspruchslosigkeit!“) zwar das Nachdenken auf Trab bringen, aber die realen Verhältnisse meist zu sehr verkürzen. Will man der Wirklichkeit gerecht werden, dann muss man sie vermischen. Das Ergebnis ist nicht ganz so flashy, aber in der Anwendung weniger irreführend und von seiner Aussage her tiefer. Eine Art epistemolgogischer Verschnitt oder Cuvée. Haack entwickelt das Konzept des Foundheretism erstmals in: Susan Haack, Evidence and Inquiry, Oxford 1993, erweitert dann als Evidence and inquiry: a pragmatist reconstruction of epistemology, Amherst 2009 ↩︎
  4. Hasok Chang, Realism for Realistic People: A New Pragmatist Philosophy of Science, Cambridge 2022 ↩︎
  5. Bas Van Fraassen, The Scientific Image, Oxford 1980 und zahlreiche folgende Schriften van Fraassens ↩︎
  6. Solomons Ansatz ist stark pragmatistisch geprägt und umgeht damit ein wenig die Frage des Realismus, kann aber allein aufgrund seiner ausgesprochen pluralistischen Epistemologie(n) durchaus mit in die „hybride“ Theorien-Klasse gezählt werden: Miriam Solomon, Social Empiricism. Cambridge 2001.
    Aus dem deutschen Sprachbereich könnte man etwa den „konstruktiven Realismus“ des österreichischen Wissenschaftstheoretikers Friedrich Wallner nennen oder die Epistemologie der „Interpretationskonstrukte“ von Abel und Lenk. Beide sind im hier beschriebenen Sinne „hybrid“, neigen dabei aber mehr dem Konstruktivismus zu.
    Fritz Wallner, Acht Vorlesungen über den Konstruktiven Realismus, 3. überarbeitete Auflage, Wien 1992
    Günter Abel, Interpretationswelten. Gegenwartsphilosophie jenseits von Essentialismus und Relativismus, Frankfurt/M Suhrkamp 1995; Hans Lenk, Interpretationskonstrukte. Zur Kritik der interpretatorischen Vernunft, Frankfurt/M. Suhrkamp 1993 ↩︎
  7. Zur Frage der Wissenschaftlichkeit von Medizin, Psychotherapie, Rechtskunde, Seelsorge und Pädagogik: Heiner Raspe, Hans-Georg Hofer, Ulrich Krohs (Hgg.), Praxis und Wissenschaft – Fünf Disziplinen – eine Familie?, Leiden (Brill, mentis) 2020 ↩︎
  8. Zur Konzeption der Philosophie als einer Entwurfs- (und nicht Forschungs-)Disziplin, die eher einer „Wahrkunst“ gleich (einer wahrheitsgebundenen Kunst) als einer Wissenschaft siehe auch mein Aufsatz Erfundene Erkenntnis in Philosophie Magazin online (Oktober 2023). Da viele Wissenschaften weiterhin einen hohen Philosophie-Gehalt aufweisen (insbesondere Geistes- und Gesellschaftswissenschaften), ergibt sich hier eine Verbindung zur Frage der Gültigkeit konträrer Entwürfe bzw. Forschungsergebnisse in unserer Erkenntniskultur. Der Wissenschaftsphilosoph und Politikwissenschaftler Eric Schliesser charakterisiert (manche) Philosophie sogar als „Prophetie“ und situiert sie damit noch deutlicher im Bereich des Kontrafaktischen und Fiktiven: „Philosophic prophecies conceptualize a merely possible, even improbable, situation and evoke behavior that makes the original conception come out true, or approximately true.“ (Eric Schliesser, Philosophic Prophecy, in: Mogens Lærke, Justin E. H. Smith, Eric Schliesser (Hgg.), Philosophy and its history: aims and methods in the study of early modern philosophy, Oxford (OUP) 2013). ↩︎
  9. zu finden u.a. in: Holm Tetens, Die Einheit der Wissenschaft und die Pluralität der Wissenschaften, in: Peter Rusterholz, Ruth Meyer Schweizer, Sarah M. Zwahlen (Hgg.), Aktualität und Vergänglichkeit der Leitwissenschaften. Bern u.a.: Peter Lang 2009, S. 185-202 oder Holm Tetens, Die Idee der Universität und ihre Zukunft, Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Heft 1 (2008), S. 24–33 ↩︎
  10. Hier die entsprechende Stelle aus den Philosophischen Untersuchungen. Weitere, knappere Erwähnungen des Konzepts der Familienähnlichkeiten finden sich im Blauen Buch (Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (1953), §§ 66–67; ders., Das Blaue Buch, 1958 (1970))
    „66. Betrachte z.B. einmal die Vorgänge, die wir »Spiele« nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiel, Kampfspiele, usw. Was ist allen diesen gemeinsam?—Sag nicht: »Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht >Spiele<«— sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist.—Denn, wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wie gesagt: denk nicht, sondern schau!—Schau z.B. die Brettspiele an, mit ihren mannigfachen Verwandtschaften. Nun geh zu den Kartenspielen über: hier Endest du viele Entsprechungen mit jener ersten Klasse, aber viele gemeinsame Züge verschwinden, andere treten auf. Wenn wir nun zu den Ballspielen übergehen, so bleibt manches Gemeinsame erhalten, aber vieles geht verloren.—Sind sie alle >unterhaltend<? Vergleiche Schach mit dem Mühlfahren. Oder gibt es überall ein Gewinnen und Verlieren, oder eine Konkurrenz der Spielenden? Denk an die Patiencen. In den Ballspielen gibt es Gewinnen und Verlieren; aber wenn ein Kind den Ball an die Wand wirft und wieder auffängt, so ist dieser Zug verschwunden. Schau, welche Rolle Geschick und Glück spielen. Und wie verschieden ist Geschick im Schachspiel und Geschick im Tennisspiel. Denk nun an die Reigenspiele: Hier ist das Element der Unterhaltung, aber wie viele der anderen Charakterzüge sind verschwunden! Und so können wir durch die vielen, vielen anderen Gruppen von Spielen gehen, Ähnlichkeiten auftauchen und verschwinden sehen.
    Und das Ergebnis dieser Betrachtung lautet nun: Wir sehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen.
    67. Ich kann diese Ähnlichkeiten nicht besser charakterisieren als durch das Wort »Familienähnlichkeiten«; denn so übergreifen und kreuzen sich die verschiedenen Ähnlichkeiten, die zwischen den Gliedern einer Familie bestehen: Wuchs, Gesichtszüge, Augenfarbe, Gang, Temperament, etc. etc.—Und ich werde sagen: die >Spiele< bilden eine Familie.“ ↩︎
  11. „Science is a complex epistemic and social practice that is organized in a large number of disciplines, employs a dazzling variety of methods, relies on heterogeneous conceptual and ontological resources, and pursues diverse goals of equally diverse research communities. Philosophers of science have often aimed to find order in this complexity through methods of unification and reduction. Pluralism, as an explicit program in philosophy of science, emerged from an increasing frustration with the limitations of unifying frameworks in the light of the disunified reality of scientific practice.“ Ludwig, David and Stéphanie Ruphy, „Scientific Pluralism„, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2024 Edition), Edward N. Zalta & Uri Nodelman (eds.) – ein lesenswerter Übersichtsartikel. ↩︎
  12. … was „innerhalb“ des Begriffes liegt und was „außerhalb“, was „echte“ Wissenschaft ist, was nicht: Die Rede ist hier, für alle Eingeweihten leicht erkennbar, vom berühmten, durchaus auch berüchtigten Demarkationsproblem – also der Aufgabe, eine scharfe Trennlinie zwischen Wissenschaften und Nicht-Wissenschaften zu ziehen. Das Problem wurde von Karl Popper in Logik der Forschung (1935) prominent formuliert; als Lösung schlug er das Kriterium der Falsifizierbarkeit vor. Allerdings zeigten die nachfolgenden Diskussionen in Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftssoziologie recht bald (einige key players: Imre Lakatos, Thomas S. Kuhn, Paul Feyerabend), dass Falsifizierbarkeit noch nicht einmal in Bezug auf Naturwissenschaften ein scharfes Kriterium für Wissenschaftlichkeit sein kann (u. a. weil kaum jemals eine Hypothese isoliert von anderen getestet werden kann und weil eine einzige – ggf. nur scheinbare – Falsifikation eine ansonsten erfolgreiche Theorie nicht zu Fall bringt). Heute wird daher in der Wissenschaftstheorie fast ausschliesslich das Konzept der Familienähnlichkeiten vertreten (siehe Anmerkung weiter oben), wobei Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zur Familie der Wissenschaften anhand multipler Kriterien kontinuierlich neu ausgehandelt werden müssen und im Einzelfall oft genug strittig bleiben: ein permanentes boundary work (Thomas F. Gieryn).
    Einschlägige aktuelle Literatur dazu:
    Frieder Vogelmann, Evidenz, Wissenschaft, Politik. Über die Gefahr von Kollektivsingularen, in: Ana Honnacker, Julian Prugger, Michael Reder (Hgg.), Welches Wissen (und welche
    Wissenschaft) braucht die Politik?
    , Berlin/Boston (de Gruyter) 2024
    David Kaldewey, Die Krise der Faktizität, revisited: Wissenschaftsskepsis und Wissenschaftskommunikation im Kontext der COVID-19-Pandemie, Österreichische Zeitschrift für Soziologie (2025) 50:22 (insb. auch zu Thomas F. Gieryn) ↩︎
  13. beide Zitate aus: Holm Tetens, Wissenschaftstheorie. Eine Einführung. München: C.H. Beck 2013 ↩︎
  14. Für einen (nicht mehr ganz aktuellen, dennoch sehr brauchbaren) Überblick über verschiedene Ausprägungen des Medienbegriffs in der Medienphilsophie (nicht der Medien- oder Kommunikationswissenschaft): Lambert Wiesing, Was ist Medienphilosophie?, in: Information Philosophie 3/2008, S. 30-39 ↩︎
  15. Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/Main 1997 ↩︎
  16. Matthias Vogel, Medien der Vernunft: eine Theorie des Geistes und der Rationalität auf Grundlage einer Theorie der Medien, Frankfurt/Main 2001 ↩︎
  17. „amerikanisch“ nenne ich diesen Medienbegriff, weil seine Ursprünge, soweit sich das rekonstruieren lässt, am ehesten bei Walter Lippmann und seinem – in Fragen von Medialität und Gesellschaft – Kontrahenten John Dewey (bei dem der Begriff selbst jedoch kaum gebraucht wird, das Konzept aber dem Sinn nach avant la lettre verwendet wird) zu finden sind. Siehe etwa Walter Lippmann, Public Opinion, New York 1922; John Dewey, verschiedene Werke. Zu Geschichte des Medienbegriffs ausserhalb der Bedeutung „Massenmedien“ in Natur- und Wahrnehmungsphilosophie: Stefan Hoffmann, Geschichte des Medienbegriffs, Hamburg (Meiner) 2002. Eine auch nur halbwegs erschöpfende Darstellung der modernen und zeitgenössischen Definitionsversuche für „Medium“ oder „Medien“ ist mir nicht bekannt ↩︎
  18. siehe Marshall McLuhan, The Gutenberg Galaxy: The Making of Typographic Man, London 1962 ↩︎
  19. Der Begriff „Aufschreibesysteme“ als eine Charakterisierung des Medialen stammt vom Medienwissenschaftler Friedrich Kittler: Friedrich Kittler, Aufschreibesysteme 1800/1900, München (Fink) 1985 ↩︎
  20. In der Regel liegt einem kommunikationstheoretischen Zugriff auf den Medienbegriff das nachrichtentechnische Modell von Shannon/Weaver aus den 1940er Jahren zugrunden bzw. eine seiner zahllosen Variationen und Modifikationen. Der Kommunikationsbegriff selbst weist in der heutigen Forschung und Theoriebildung eine ähnlich unübersehbare Vielfalt auf wie der Medienbegriff. ↩︎
  21. McLuhan betrachtete Medien als „extensions of man“, die durchgreifende anthropologische und soziale Effekte mit sich bringen. Er interessierte sich also weniger für die medial vermittelte Information als für die mediale Infrastruktur. Sein Ansatz ist bis heute anschlussfähig bis in den Transhumanismus hinein. Dass sein bekanntestes Werk das Wort „Massage“ im Titel trägt und nicht, wie vom Autor ursprünglich vorgesehen, das Wort „Message“, verdankt sich bekanntlich einem Fehler des Schriftsetzers bei den Druckfahnen, der von McLuhan aufgrund der, wie ihm schien, passenden Metaphorik aufgegriffen und übernommen wurde. Marshall McLuhan, The Medium Is the Massage: An Inventory of Effects, 1967 ↩︎
  22. Siehe im deutschen Sprachbereich auch Habermas‘ Strukturwandel-Schriften: Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, 1962 und ders., Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik. Suhrkamp, Berlin 2022 ↩︎
  23. Etwa bei Jan und Aleida Assmann: „Alles, was über die Welt gewusst, gedacht und gesagt werden kann, ist nur in Abhängigkeit von den Medien wißbar, denkbar und sagbar, die dieses Wissen kom­munizieren.“ Bei der Berliner Philosophien Sybille Krämer: „Alles, was Menschen beim Wahrnehmen, Kommunizieren und Erkennen ‚gegeben ist‘, ist in Medien gegeben“
    (aus: Sybille Krämer, Erfüllen Medien eine Konstitutionsleistung?. In: Münker, S., Roesler, A. & Sandbothe, M. (Hrsg.), Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs (S. 78-90)).
    Kant beispielsweise: „Dass alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel.“ und natürlich: „Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen wäre.“  ↩︎
  24. Vollständig lautete der Ausspruch des damaligen Verteidigungsminister der USA Donald Rumsfeld im Rahmen einer Pressekonferenz im Vorfeld des Kriegs gegen den Irak 2002: „[…] there are known knowns; there are things we know we know. We also know there are known unknowns; that is to say we know there are some things we do not know. But there are also unknown unknowns – the ones we don’t know we don’t know.↩︎
  25. Matthias Groß, Linsey McGoey (Hg), Routledge handbook of ignorance studies, London (Routledge) 2022 ↩︎
  26. Die Zahl der zum Thema Nichtwissen erschienene Literatur ist in den vergangenen Jahren, beginnend quasi bei Null, förmlich explodiert, die Veröffentlichungen sind kaum mehr zu überblicken. Aber auch ausserhalb der Ignorance Studies selbst lassen sich einschlägige neuere Veröffentlichungen finden. So hat der kürzlich verstorbene Philosoph Nicholas Rescher, multidisziplinäre Ausnahmeerscheinung von der Universität Pittsburgh, 2009 ein Buch mit dem Titel Unknowability veröffentlicht, in dem er dem Nichtwissbaren mit Mitteln der analytischen Philosophie und der Logik auf die Spur geht. In Bereich der Management Studies ist Das Management der Ignoranz von Ursula Schneider zu erwähnen, das sich als Ergänzung und Gegenstück zur Literatur zum Wissensmanagement versteht.
    Nicholas Rescher, Unknowability : an inquiry into the limits of knowledge, Lanham (Lexington Books) 2009.
    Ursula Schneider, Das Management der Ignoranz, Wiesbaden 2006 ↩︎
  27. Peter Wehling, Stefan Böschen (Hg.), Nichtwissenskulturen und Nichtwissensdiskurse: über den Umgang mit Nichtwissen in Wissenschaft und Öffentlichkeit, Baden-Baden (Nomos) 2015 ↩︎
  28. James Frederick Ferrier, Institutes of Metaphysic: The Theory of Knowing and Being, 1854 ↩︎
  29. Ein Aufsatz zu diesem Thema ist zur Veröffentlichung angenommen, ein Buchprojekt in Vorbereitung. ↩︎