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Glyphosat, Bakterien und Insektenschwund 

Viele Insekten beherbergen Bakterien als innere Symbionten. Meist sind sie unentbehrlich für Fortpflanzung und Fitness, manchmal werden regelrechte Bakterienorgane gebildet. Kann Glyphosat diese Bakterien schädigen? Gibt es wirklich einen Zusammenhang zwischen Glyphosat-Anwendung und Insektenschwund — aber auf andere Art, als er derzeit diskutiert wird?

[update: hier gibt es – ein Jahr, nachdem ich über diese Sache Mutmassungen angestellt hatte – nun einen science-Artikel, der eine ähnliche Verbindung für möglich hält]

Die Debatte um Glyphosat wird auf eine überhitzte und oft verzerrende Art und Weise geführt, und eigentlich gehöre ich nicht zu Befürwortern eines grundsätzlichen Glyphosatverbots. Die meisten Argumente, die für ein Verbot ins Spiel gebracht werden, sind eher schwach. Ein Krebsrisiko besteht, soweit ich die Studien überblicke, nur bei absurd hohen Dosierungen — in denen ist aber so gut wie jeder Stoff krebserregend oder zumindest schädlich. Das “Glyphosat im Bier” macht mir jedenfalls keine Sorgen.

Derzeitiges Pro und Contra Glyphosat
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Glyphosat ist eigentlich ein sehr elegantes und modernes Herbizid, da es selektiv einen Stoffwechselweg in den Zellen blockiert, der nur bei Pflanzen und Bakterien existiert, nicht aber bei Tieren: den Shikimisäureweg (Shikimate pathway). Von daher ist das Argument der Glyphosat-Verteidiger, dass Glyphosat unschädlich für Mensch und Tier sei, erst einmal richtig. Zudem ermöglicht die Landwirtschaft mit Glyphosat den Verzicht auf Bodenbearbeitungstechniken, die zu Erosion führen, wie etwa das Pflügen. Der Einsatz von Glyphosat hat also durchaus ökologische Vorteile.

Der springende Punkt in der obigen Aufzählung war allerdings das Wort “Bakterien”. Denn einen Stoff, der ausnahmslos alle Bakterien schädigt, wollen wir natürlich auch nicht in unserer unmittelbaren Nähe haben — die Bedeutung von Bakterien etwa für die Verdauung, aber auch für das ökologische Gleichgewicht ganzer Biotope ist ja bekannt.

Was die bisherigen Argumente der Glyphosat-Gegner angeht, kann man allerdings auch hier weitgehend Entwarnung geben. Wenn Glyphosat in der Landwirtschaft angewandt wird, sind die Konzentrationen, die tatsächlich in den Körper und dann ins Verdauungssystem gelangen, so gering, dass keine Schädigung der Bakterienflora stattfindet. Auch die Tätigkeit der Bodenbakterien wird nicht beeinträchtigt, da die biochemischen Eigenschaften der Bodenkrume zu einer nahezu sofortigen Zersetzung von Glyphosat führen.

Bodenbakterien und Darmbakterien werden durch Glyphosat nicht geschädigt

Andere Argumente der Glyphosatgegner sind natürlich dennoch gültig: etwa, dass Glyphosat im Rahmen der Industrialisierung zu einer Homogenisierung der Flächen führt und dass die Patentierung von Glyphosat-resistentem Saatgut einige Bedenken wecken sollte. Auch ist tatsächlich zu fürchten, dass ein solches Totalherbizid generell zur Dezimierung der Artenvielfalt beiträgt: primär in der Flora, dann aber auch, sekundär, in der Fauna und somit auch möglicherweise wiederum bei den Insekten — doch das ist nicht der Punkt, um den es mir hier geht.

Der entscheidende Punkt, der auch mich selber möglicherweise zu einem Überdenken meiner ansonsten eher toleranten Position in der Glyphosat-Frage bringen könnte, ist nämlich möglicherweise ein anderer, und er ist, soweit ich das bei einer schnellen Recherche feststellen konnte, noch überhaupt nicht erforscht.

Ein neuer Punkt: Einfluss von Glyphosat auf lebenswichtige Bakterien in Insekten?
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Bakterien spielen nämlich nicht nur im Boden und in den Verdauungswegen von Säugetieren eine Rolle. Sie sind — was einem meistens gar nicht bewusst ist — ein integrierender Bestandteil der Insekten selbst. Man überspitzt nur wenig, wenn man sagt: Insekten sind Mosaikorganismen, die aus dem Insekt selbst bestehen sowie aus den Bakterien, die in diesem Insekt leben.

Diese Endosymbiose (endo = gr. innen) von Bakterien in Insekten ist evolutionär gesehen uralt, und sie ist physiologisch von grösster Bedeutung. Oft leben die Bakterien im Inneren der Körperzellen der Insekten, manche Insekten bilden sogar gemeinsam mit ihren Bakterien spezielle Organe aus, die Bakteriome, die zum Beispiel am Verdaungsvorgang beteiligt sind.

Aber nicht nur die Verdauung ist betroffen, die Bakterien nehmen sogar unmittelbaren Einfluss auf das Paarungsverhalten und den Fortpflanzungserfolg — so sorgen sie bei manchen Insekten dafür, dass sich die Tiere nur mit solchen Partnern fortpflanzen können, die die gleichen endosymbiontischen Bakterien in sich tragen. Entfernt man die Bakterien ganz, so werden die Insekten unfruchtbar.

Diese Bakterien werden meist nicht während des individuellen Lebens von aussen aufgenommen, sondern bereits über die Eizelle direkt an die nächste Generation weitergegeben. Man kann also wirklich sagen, dass sie zum Tier dazugehören — kaum weniger, als ein “eigenes” Organ wie Magen oder Darm dies tun.

Und diese bakteriellen Endosymbionten im Inneren der Insekten könnten nun sehr wohl von Glyphosat betroffen sein — auch sie sind ja auf das Funktionieren des Shikimisäurewegs angewiesen, der durch Glyphosat blockiert wird. All jene Faktoren, die Glyphosat für Boden- und für Darmbakterien unbedenklich machen, fallen hier nämlich weg.

Zum ersten sind Insekten, deren natürlicher Lebensraum nicht zuletzt der Acker ist, einer um Grössenordnungen höheren Dosierung von Glyphosat ausgesetzt als zu Beispiel wir Menschen, die höchstens minimale Spuren des Stoffes aufnehmen: Sie werden direkt besprüht. Zweitens spielen die biochemischen Mechanismen, die in der Krume des Erdbodens für eine nahezu sofortige Zersetzung von Glyphosat sorgen, keine Rolle. Und drittens unterscheidet sich die Physiologie von Insekten massgeblich von der von Säugetieren: Während bei Säugetieren der Transport von Flüssigkeiten innerhalb des Körpers grösstenteils durch spezielle Gefässe stattfindet (Adern, Lymphgefässe usw.) und dadurch die verschiedenen Versorgungswege gut voneinander getrennt sind, beruht der Stofftransport bei Insekten in einem viel grösseren Masse auf Diffusion. Ein Stoff, der in irgendeine Körperflüssigkeit hineingerät, wird sich so mit weitaus grösserer Wahrscheinlichkeit an verschiedenen anderen, unbestimmten Orten des Organismus finden — eben auch bei den symbiontischen Bakterien in ihren Bakteriomen.

Bakterielle Symbionten sind für Insekten lebenswichtig und könnten von Glyphosat-Einwirkung betroffen sein

All das gibt Anlass zu der Vermutung, dass die Schädigungswirkung von Glyphosat auf die bakteriellen Endosymbionten von Insekten gravierend sein könnte — und damit auf die Insekten selbst.

Betrachtet man die jüngsten Meldungen zum Rückgang der Insektenpopulationen, so fragt sich, ob hier ein Zusammenhang besteht, und ob dieser Faktor nicht eine viel stärkere Rolle in der derzeitigen Diskussion spielen sollte. Weder in der deutschen noch in der englischen Fachliteratur konnte ich, wie gesagt, zu diesen Zusammenhängen irgendetwas finden. Es gibt zwar Überlegungen dazu, dass Glyphosat indirekt die Diversität der Insekten verringert, da die glyphosatabhängige Landwirtschaft ihre Lebensräume dezimiert. Die möglichen unmittelbaren Auswirkungen von Glyphosat auf die bakteriellen Endosymbionten der Insekten aber sind offenbar niemals untersucht worden.

Dies mag auch damit zu tun haben, dass — auch in der Wissenschaft — immer noch ein falsches, zu eng gefasstes Gesamtbild des Lebendigen verbreitet ist. Wir betrachten den biologischen Organismus immer vor allem als etwas in sich Abgeschlossenes, während in Wirklichkeit die Verschmelzung von Organismen in der Evolution eine grundlegende Rolle spielt. Ein neues, integriertes Verständnis der Evolution und des Lebendigen, das dies berücksichtigt, würde das Augenmerk sofort auch auf Zusammenhänge bakterieller Endosymbiosen richten.

Darwin ist nicht alles: Neben der Selektion sind Kooperation und Symbiose Haupttriebkräfte der Evolution

Bisher nur ein Verdacht — Forschungen nötig
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Was die insektenschädigende Wirkung von Glyphosat über den Weg der bakteriellen Endosymbionten angeht, so kann sich auch meine persönliche Einschätzung derzeit nur auf Plausibilitätsüberlegungen stützen, nicht auf empirisch erhobene Daten. Die allerdings bringen mich dazu, eine solche Schadwirkung als vollkommen realistisch anzusehen. Und wenn dieser Zusammenhang tatsächlich besteht, wenn tatsächlich Glyphosat die Insektenpopulationen schädigt, indem es die in den Insekten selbst lebenden Bakterien in ihren Funktionen einschränkt oder gar funktionsunfähig macht, dann wäre dies für mich der ausschlaggebende Grund, aus dem Glyphosat tatsächlich verboten gehört.

Dies zu schreiben, fühlt sich gerade etwas seltsam an: Denn — wie oben gesagt — ich halte die derzeitige Debatte für wenig sachlich, und bin vor allem der Ansicht, dass das Hauptargument der Glyphosatgegner, nämlich dass die Substanz krebserregend sei, verzerrend und programmatisch ist und in polemischer Weise verwandt wird. So bin ich nun also aufgrund meiner Beschäftigung mit den Symbiose- und Verschmelzungsvorgängen in der Natur zu einer Art Advocatus Diaboli geworden — und froh darum, wenn es Gründe in der Sache dafür gibt.

Dieser Punkt jedenfalls, der Punkt der möglichen Endosymbiontenschädlichkeit von Glyphosat bei Insekten, muss meiner Ansicht nach unbedingt erforscht werden. Nur so können wir zu einer fundierten Beurteilung seiner Gültigkeit kommen — was wiederum etwas Wesentliches beitragen würde zu einer sinnvollen, nicht rein politisch, wirtschaftlich oder aktivistisch motivierten Entscheidung im Glyphosat-Streit. Wenn es gelingt, ihn mit diesem kurzen Artikel in die Diskussion zu bringen, wäre bereits viel gewonnen.



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